Mehr Fehlertoleranz!

Vor vielen Jahren, ich war noch Student, ging ich irgendwo in Deutschland zu einem Arzt. Über meine Eltern war ich damals privat krankenversichert. Der Arzt erzählte mir, er unterstütze mit allen Honoraren, die von Privatpatienten kämen, eine wirklich wichtige soziale Einrichtung, und fragte mich, ob er nicht ein wenig mehr aufschreiben könne, die Kasse zahle es ja. Ich war ein wenig überrumpelt und sagte erst mal ja.

Auf der Rechnung stand tatsächlich kein Konto des Arztes, sondern direkt das Spendenkonto jener Einrichtung. Aber auch eine ziemlich dramatische Krankengeschichte mit mehreren, auch nächtlichen, Hausbesuchen. Nein – diese Rechnung habe ich weder bezahlt noch eingereicht. Das war mir dann doch zu heikel. Aber wär's nur ein klein wenig übertrieben gewesen – hätte ich dann mitgemacht? Vielleicht, ich bin mir nicht sicher.

Das Gute wollen und doch etwas Unrechtes tun. Es muss nicht immer so krass sein wie in diesem Beispiel. Aber ich glaube: Das geht jedem Menschen ab und zu so. Oder zumindest sehen andere das, was wir Gutes wollen, manchmal eben gar nicht als Gutes an. Alle Eltern mit pubertierenden Kindern werden mir hier zustimmen.

Und manchmal machen wir auch einfach wirklich Fehler. Das gehört zum Leben dazu.

In letzter Zeit häufen sich die Berichte über Fehler, die prominente Personen und auch Organisationen machen. Ob Bischof Tebartz-van Elst, Alice Schwarzer, Minister Friedrich, Sebastian Edathy, der ADAC oder wer auch immer: Das Vertrauen ist dahin. Kann man denn überhaupt noch jemandem glauben?

Ich möchte diese Personen und Institutionen überhaupt nicht in Schutz nehmen, denn sie haben tatsächlich Fehler gemacht (bei Edathy bin ich mir da, zumindest aus rechtlicher Sicht, noch nicht so sicher). Aber ich frage mich, was wir denn eigentlich erwarten. Absolut fehlerfreie Menschen? Und sobald auch nur der kleinste Fehltritt passiert, ist ein Rücktritt fällig. Ist das nicht völlig unmenschlich? Und dann noch, wie zum Hohn, die besserwisserischen Kommentare, wie eine gute Krisenkommunikation hätte aussehen können. Auch da wieder die Forderung nach absoluter Perfektion und Fehlerfreiheit, dann halt in der Kommunikation der Fehler.

Vor vielen Jahren, noch in den Achtzigern, hat der Theologe Manfred Josuttis ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Der Pfarrer ist anders“. Es ist lange her, dass ich es gelesen habe, aber aus dem Gedächtnis fasse ich es so zusammen: Alles das, was die Menschen in ihrem eigenen Leben nicht hinbekommen, das wünschen sie sich an einem Projektionsort doch erfüllt. Einer, vor allem auf dem traditionellen Dorf eben der Pfarrer, der muss das alles sozusagen stellvertretend bestens erfüllen. Die evangelische Pfarrfamilie darf nicht, wie die eigene, auch mal heftig streiten. Eine Pfarrersehe darf nicht zerbrechen. Ein Pfarrer muss immer erreichbar sein und dabei stets freundlich bleiben. Und so weiter.

Wie gesagt, das Buch ist uralt. Die Erwartungen an Pfarrer – und Pfarrerinnen – sind heute nur noch rudimentär vorhanden, und das ist vielleicht auch ganz gut so. Ich habe das Gefühl: Jetzt sind die Promis dran, denn die Pfarrer sind entzaubert und taugen nicht mehr als Projektionsfläche. Und wehe, einer von denen da oben sagt mal ein falsches Wort – oder auch nur eines, das eindeutig korrekt gemeint war, aber eben auch anders interpretiert werden könnte.

Klar müssen Fehler Konsequenzen haben. Sowohl strafrechtlich als auch personell. Manchmal ist ein Rücktritt von einem Leitungsamt auch die einzige Option. Trotzdem würde ich mir in der Öffentlichkeit etwas mehr Fehlertoleranz wünschen. Etwas mehr Bewusstsein dafür: Wir alle sind Menschen. Und je mehr Verantwortung, Macht und Geld wir haben, desto größer sind die Versuchungen. Hätten wir in der gleichen Situation wirklich besser gehandelt?

Jesus sagt in Matthäus 7:

1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. 2 Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. 3 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? 4 Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. 5 Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.