Sonntag: Für die Menschen.

„Die Kirche hat Angst, dass am Sonntag keiner mehr zum Gottesdienst kommt. Darum klagen sie gegen die Öffnungszeiten.“
So schrieb gestern jemand bei Twitter über die aktuelle Klage von evangelischer und katholischer Kirche zusammen mit den Gewerkschaften gegen die Ladenöffnungszeiten in Berlin.
Ja, der Eindruck kann wirklich entstehen, dass es so ist: die Kirche will mal wieder nur ihren Besitzstand wahren, alles andere ist ihr egal. Vielleicht muss ja auch juristisch so argumentiert werden. Für mich – und ich glaube, auch für viele andere – steht etwas ganz anderes im Mittelpunkt: Der Mensch.
Das Hauptargument für einen verkaufsoffenen Sonntag ist ja auch nicht, dass die Menschen dann einen schönen Tag haben, an dem sie in Ruhe einkaufen können. Das Hauptargument ist: Dann gibt es mehr Umsatz. Ich frage mich dann auch, woher diese paar Prozent mehr Umsatz eigentlich kommen sollen – gehen sie denn nicht von dem ab, was die Leute an den anderen Tagen ausgeben können? Aber das nur nebenbei. Mir geht es darum, dass die Menschen geschützt werden. Geschützt vor dieser Einstellung, dass immer und überall das Geld am wichtigsten ist.
Nein, sage ich. Das Geld ist nicht alles. Viel wichtiger ist, dass wir Menschen gut leben können. Und zum gut leben gehört, da bin ich überzeugt, die Zeit zum Ausruhen dazu, und wenn möglich auch ein gewisser Rhythmus. Die alte biblische Geschichte von der Erschaffung der Welt mag vielleicht nicht im historischen Sinn wahr sein. Aber sie enthält eine Menge Wahrheiten über die Welt und die Menschen darin. Sie erzählt, wie Gott alles erschuf – in sechs Tagen. Am siebten Tag ruhte er. Oft hört man, die Menschen seien die Krone der Schöpfung, weil sie ja das letzte sind, was Gott geschaffen hat. Aber das stimmt gar nicht: Das letzte, die Krone der Schöpfung, das ist die Ruhe von der Arbeit. Wir sind etwas wert, auch ohne unsere Arbeit. Wir sind etwas wert, auch dann, wenn wir vielleicht gar keine Arbeit haben. Und diese Ruhe: Sie ist ein Geschenk, das schützenswert ist. Für die Menschen. Nicht, weil dann vielleicht mehr in die Kirche kommen. Sondern weil es uns Menschen gut tut.
Das soll auch keine absolut starre Regel sein, so dass am Sonntag gar nichts mehr geschehen darf. Ich denke, wir haben da in Deutschland ganz gute Kompromisse gefunden. Auch Jesus ist ja einmal in Konflikt gekommen mit dem sehr strikten jüdischen Arbeitsverbot am Sabbat: Er ging mit seinen Jüngern durch ein Kornfeld, und die Jünger rauften mit den Händen ein paar Ähren aus und aßen sie. Sofort waren einige da, die schrien: „Sie haben den Sabbat entheiligt! Ernten am Sabbat ist verboten!“ - doch Jesus sagte: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ Wohl gemerkt: Um des Menschen willen. Und ich glaube, um der Menschen willen müssen wir unseren Ruhetag verteidigen. Nicht wegen der Kirchenbesuche. Sondern wegen der Menschen.
Kann man nicht seinen Ruhetag auch wann anders haben, unter der Woche? Klar kann man. Ist ein toller Ruhetag, sage ich auch Erfahrung, denn als Pfarrer muss ich notgedrungen oft meinen freien Tag unter der Woche nehmen. Früh aufstehen, denn die Kinder müssen in die Schule. Dann vielleicht noch was einkaufen, nachmittags sind Hausaufgaben dran. Zeit mit der Familie? Kaum. Ein freier Sonntag, an dem alle gemeinsam frei haben: Das ist etwas ganz anderes. Ich glaube, das ist eine der ganz großen Errungenschaften unserer Kultur, und wir sollten sie nicht so leichtfertig abgeben.
Ich wünsche Ihnen noch viele gelungene freie Sonntage und hoffe auf eine lebhafte Diskussion.

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