Zweifeln erwünscht!

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti 2009
Schweinfurt/Gustav-Adolf-Kirche, 19.4.2009 
Text: Joh 20, 19-29
Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. 
24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich\'s nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!


Liebe Gemeinde!
Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.
Mit diesem Slogan sollen - nach England, Spanien und anderen Ländern - nun auch in Deutschland Busse fahren. Die Verkehrsbetriebe aber wollen nicht. Schade eigentlich - ich glaube, die öffentliche Diskussion täte auch uns gut. Ich glaube, es würde den Christen in Deutschland kaum schaden, wenn ein paar Busse mit so einer Aufschrift herumfahren würden. Aber vielleicht würde es uns klar machen: Ja, es gibt Menschen, die unseren Glauben nur für ein Hirngespinst halten. Und es gibt noch viel mehr Menschen, die nicht so recht wissen, was sie davon halten sollen. Ein Mensch als „Sohn Gottes“? Leben nach dem Tod – ist das nicht nur einfach ein tröstlicher Gedanke, der den Tod erträglicher machen soll? In unserer aufgeklärten Zeit, in der alles wissenschaftlich erklärbar sein soll, hat es der Glaube schwer. Und, ganz ehrlich: Ein Mensch, der so seine Probleme mit dem Glauben hat, wird aus vielen unserer Gottesdienste auch nicht unbedingt Stärkung und Trost ziehen. Er oder sie wird sich fremd vorkommen. Da sitzen einige, die kennen sich aus. Die antworten auf ein gesungenes „Der Herr sei mit euch“ mit „und mit deinem Geist“. Die singen auch sonst noch so einiges, was nicht an der Liedertafel angeschlagen ist. Die wissen, wann man aufsteht und sich hinsetzt. Die können das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auswendig. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich feiere sehr gern unsere Sonntagmorgengottesdienste. Ich bin damit groß geworden. Ich fühle mich darin zu Hause. Aber ich weiß, dass es viel mehr Menschen nicht so geht. Gerade solchen, die auf der Suche sind. Die eben nicht wissen, was sie von dieser ganzen Glaubensgeschichte halten sollen.
Ich habe mich richtig gefreut, als ich festgestellt habe, was der für heute vorgeschlagene Predigttext ist. Einer meiner Lieblingstexte in der Bibel. Sozusagen das Urbild all dieser modernen Zweifler. Die Erzählung vom ungläubigen Thomas: „Ich glaube das alles nicht, wenn ich es nicht selbst sehe!“ So sagt er. Und – kann man ihm das verdenken? Ist das nicht eine völlig natürliche und richtige Reaktion? Musste Thomas nicht sogar so reagieren, bei diesen abstrusen Behauptungen seiner Freunde? Jesus – auferstanden vom Tod? Völliger Quatsch. Das kann nicht wahr sein. Die haben einen gemeinschaftlichen Dachschaden. Halluzinationen oder sonstwas. Alle Erfahrung spricht dagegen. Noch nie ist einer vom Tod zurückgekehrt.
Ja, Thomas gefällt mir. Seine Einstellung gefällt mir. Nicht einfach alles glauben, was einem so erzählt wird. Nicht alles für bare Münze nehmen, nur weils einer der Apostel erzählt. Nur, wenn ich es selber erlebe, dann kann ich auch daran glauben. „Ungläubiger Thomas“ - das ist so etwas wie ein Schimpfwort geworden. Für mich ist es eher eine Auszeichnung: Ein kritischer Zeitgenosse, der nicht blind allem hinterherrennt. Er ist ein Mensch wie wir heute. Kritisch, aufgeklärt, fragend. Ein Mensch wie die, zu denen ich als „Citypfarrer“ besonders unterwegs bin. Ein Mensch mit Fragen, mit Zweifeln. Und Thomas zeigt uns: Das ist in Ordnung. Es ist in Ordnung, Fragen zu haben im Glauben. Es ist in Ordnung, auch einmal in tiefste Zweifel zu verfallen. Es ist in Ordnung, einmal etwas nicht glauben zu können. Ja, es gehört sogar unbedingt zum Glauben dazu, ihn auch einmal anzweifeln zu können. Denn nur, wenn ich auch meine eigenen Zweifel ernst nehme, dann kann ich mich mit Menschen auseinandersetzen wie denen, die diese Busplakat­aktion durchführen wollen. Nur, wenn ich meine eigenen Zweifel kenne und weiß, wie ich damit umgehen kann, kann ich auch die „Anfechtungen“ bestehen, die immer wieder kommen, in jedem Leben. Die Fragen: Warum lässt Gott das zu? Fragen nach Gottes Gerechtigkeit. Fragen nach dem Warum. Fragen, ob Gott uns überhaupt hört. Auch von Martin Luther wird erzählt, dass er immer wieder mit seinen Anfechtungen und Zweifeln zu kämpfen hatte – ich glaube, genau dieser Kampf war es, der ihn in seinen Überzeugungen letztlich so stark gemacht hat, dass er sie sogar gegen die ganze Kirche seiner Zeit, selbst gegen den Papst, verteidigt hat.
Spannend ist nun für mich: Wie geht Jesus mit diesem Zweifler um? Jesus hätte ja einfach sagen können: „Na egal, er wird\'s schon auch noch irgendwann lernen.“ Oder: „Na ja, wenn er zweifelt, dann glaubt er halt nicht fest genug. Schade drum, aber einige werdens wohl nie lernen.“ Nein – Jesus kommt extra noch einmal. Eine Woche später. Jesus lässt zu, dass Thomas ihn berührt. Jesus räumt alle Zweifel aus. Und Thomas bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“ Wäre das nicht schön, wenn er es bei uns auch so machen könnte?
Sehen können wir ihn nicht mehr. Und auch Jesus sagt ja dann: „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“. Er lädt uns ein, einfach nur zu vertrauen, auch wenn wir ihn nicht sehen. Aber ich glaube, wir können ihn immer noch erleben. Spüren in unserem Leben. Wer mit dem reinen Verstand herangeht, wird sagen: „Das ist doch nur Einbildung, dass du Gottes Wirken in deinem Leben spürst.“ Nur, wer glaubt, erkennt in kleinen Spuren im Leben das Wirken Gottes. Doch auch, wer nicht glaubt, bekommt von Gott Einladungen, Zeichen, Hinweise. Vielleicht haben Sie es schon einmal erlebt, dass Ihr Leben eine unerwartete Wendung nahm. Vielleicht haben sie es auch schon einmal erlebt, so einen Moment, wo Zweifel auf einmal wie weggeblasen waren. Einen Moment, in dem auf einmal alles möglich zu sein schien. So einen Moment erlebten die Jünger damals, auch Thomas: Jesus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Sogar den Thomas hat er überzeugt. Ein neues Leben begann für sie, alle Tränen, alle Angst, alle Zweifel waren weggeblasen. Und diese Freude von damals, sie wirkt bis heute nach. Von dieser Freude haben sie weitererzählt, in der ganzen Welt, über die Jahrtausende. Von dieser Freude möchte ich weitergeben an alle, die noch zögern. An alle, die sich nicht entschließen können. An alle, die meinen, es sei doch nur ein Hirngespinst. Er ist erstanden, halleluja! Jauchzt ihm und singet, halleluja! 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.