Jesus macht frei.

Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis 2009

Zell/Weipoltshausen, 18.10.2009

Text: Mk 2, 1-12

Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, daß er im Hause war. 2 Und es versammelten sich viele, so daß sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. 3 Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. 4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. 5 Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. 6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: 7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? 8 Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, daß sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? 9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? 10 Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 12 Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, so daß sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.

 

Liebe Gemeinde!

Eine wunderschöne Geschichte, die ich schon als Jugendlicher immer wieder gern im Kindergottesdienst erzählt habe. In der Schule haben wir sie gemalt. Hier passiert endlich mal richtig was. Action, die man nachspielen kann und auch irgendwie nachvollziehen. Na ja, als Kind fand ich das immer sehr befremdlich, dass die da bei wildfremden Menschen einfach das Dach kaputtmachen. Ob die keinen Ärger bekommen haben dafür? Das hat mich fast mehr beschäftigt als die Tatsache, dass Jesus hier jemanden heilt – das sind wir ja von anderen Geschichten auch schon gewohnt, das ist beinahe nichts besonderes mehr.

Ungefähr 30 Jahre und ein Theologiestudium später sehe ich die Geschichte mit ganz anderen Augen. Sie ist nämlich eigentlich ganz schön kompliziert. Lassen wir doch mal diese ganze wunderschöne Rahmenerzählung weg und schauen auf den Kern. Freunde bringen einen schwer kranken Menschen zu Jesus. Sie wollen natürlich, dass er ihn heilt. Auch, wenn es nicht explizit ausgesprochen wird. Und was macht Jesus? Sagt er etwa: „Steh auf, du bist wieder gesund“? Nein. Er sagt zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Was soll das jetzt hier? Hat dieser Mensch etwa gesündigt und Gott hat ihn dafür mit einer Krankheit gestraft? Ja, im Alten Testament hat man manchmal über so einen Tun-Ergehens-Zusammenhang nachgedacht, nach dem Motto: Wer Gutes tut, dem geht's auch gut, und die Schlechten werden von Gott bestraft. Und wer krank ist, vor allem so krank wie der hier, der muss ja irgend etwas Böses getan haben. Oder wenn nicht er, dann vielleicht seine Eltern oder seine Großeltern. So dachten damals viele – und nun auch Jesus? Sieht er Krankheit auch als eine Bestrafung Gottes an? Nein, das würde nicht in das Bild passen, das die Bibel sonst von Jesus zeichnet. Er meint es anders. Er will in dieser Geschichte provozieren. Da sitzen sie, die Schriftgelehrten und Pharisäer, mit denen er sich schon so oft angelegt hat. Menschen, die ihren Glauben durchaus ernst nehmen. Menschen, die nicht damit klarkommen, dass dieser Jesus manches Wort der Bibel anders auslegt als sie. Meist liebevoller. Und nun sagt dieser Jesus zu dem Kranken: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Da regt sich Widerspruch bei ihnen. Sünden vergeben – das kann doch nur Gott! Was sagt dieser Jesus da? Was tut er da? Ist das nicht Gotteslästerung? Und jetzt kommt das, worum es eigentlich in der ganzen Erzählung geht. Nicht um abgedeckte Dächer, nicht um die Frage, ob die Krankheit eine Strafe Gottes ist oder eventuell sein könnte, nein, es geht darum, wer Jesus ist. Was er kann. Woher er seine Vollmacht nimmt, so zu reden, zu handeln, Menschen zu heilen.

Jesus sagt zu den Pharisäern: „Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?“

Gute Frage. Hab ich mich als Kind schon gefragt, wie Jesus das meint. Gesagt ist beides gleich leicht – doch nur bei einem von beiden kann man die Wirkung sofort überprüfen. Wenn ich sage: „Gott hat dir deine Sünden vergeben“, dann mag das so dahingesagt sein, ob es stimmt, wissen wir nicht. Aber wenn ich sage: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher – dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, der Kranke steht auf – oder eben nicht. Und siehe da: er steh auf. Er ist geheilt! Nur auf ein Wort dieses Jesus hin steht er auf und geht davon.

Wenn Jesus so eine Macht hat, über diese Krankheit zu gebieten – was ist dann mit diesem anderen Wort: „Dir sind deine Sünden vergeben“? Das ist es, was uns diese Geschichte sagen will: Dass dieser Jesus, der Menschen von Krankheit heilen kann, uns auch von unseren Sünden freisprechen kann. Und dass er es auch tut. Er will, dass wir frei sind. Er will nicht, dass uns Krankheit oder ein schlechtes Gewissen, irgend eine Sünde niederdrückt. Er will, dass wir befreit und aufrecht durchs Leben gehen können. „Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!“

Dafür hat Jesus sich eingesetzt. Dafür hat er sogar sein Leben gegeben: Dass wir frei sein können. Er holt uns aus der Tiefe. Er gibt uns Atem. Er schenkt uns Freiheit. Halleluja!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.