Recht und Gerechtigkeit

Predigt am Sonntag Estomihi 2011

Schonungen, 6.3.11

Text:Am 5, 21-24*
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. 22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Liebe Gemeinde!
Faschingssonntag ist heute. Vielleicht haben Sie heute was Lustiges erwartet. Eine gereimte Predigt oder so was. Aber – ich muss Sie enttäuschen. Ganz im Gegenteil. Heute erwartet Sie eine Strafpredigt. Und das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass der Fasching vielleicht irgendwie anstößig wäre oder sonstwas. Nein, die Kritik des Amos geht viel tiefer. Da geht es nicht darum, ob wir mal ein paar Tage ein bisschen über die Stränge schlagen. Er sagt: Euer ganzes Leben wird den Ansprüchen Gottes nicht gerecht!

So, wie diese Welt aussieht, braucht ihr eigentlich gar nicht mehr in den Gottesdienst zu gehen, verkündet Amos vor rund 2500 Jahren. Die Situation damals, zu seiner Zeit, war unerträglich. Und sie ist kaum besser geworden bis heute.

Recht und Gerechtigkeit, das ist es, was vor allem der Prophet Amos immer wieder gefordert hat. „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“, so heißt es in unserem Predigttext. Recht, das heißt: Alle stehen unter dem gleichen Gesetz. Es wird nicht für die einen gebeugt, weil sie besonders beliebt oder besonders einflussreich oder auch besonders reich sind – oder weil sie einflussreiche Freunde und Förderer haben. Das Recht wird auch nicht für die anderen härter ausgelegt, weil sie sowieso keiner mag und man eigentlich ganz froh ist, wenn man diese Störenfriede wegsperren kann oder sie zumindest nicht mehr zu Gesicht bekommt. Das Recht ist für alle gleich, ob König, Minister oder einfacher Stallknecht.
Und dann die zweite Forderung der alttestamentlichen Propheten: Gerechtigkeit. Das bedeutet im Alten Testament noch viel mehr als „gleiches Recht für alle“. Das bedeutet: Jede und jeder soll zumindest genug zum Leben haben. Keiner soll hungern. Keiner soll Angst vor Verfolgung haben. Wer viel hat, gibt denen etwas, die nichts haben.

Wie ist das bei uns? 

Ich weiß, das ganze Thema ist sehr viel komplexer. Aber wenn um 5 Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger monatelang diskutiert wird und auf der anderen Seite Milliarden für die Rettung von Banken ausgegeben werden und die geretteten Banken schon wieder Bonuszahlungen in Millionenhöhe ausschütten, dann frage ich mich schon, ob hier nicht etwas ganz gewaltig schief läuft.

Aber: Selbst Menschen, die mit Hartz IV leben müssen, haben es noch gut. Einfach, weil sie in einem der reichsten Länder der Welt leben.

Wenn ich mir ansehe, unter welchen Bedingungen Menschen woanders oft arbeiten, dann macht mir das wirklich Angst. Manche Programmierer in Indien arbeiten ausschließlich nachts, weil dann die Konzernzentrale in den USA offen hat und man übers Internet besser kommunizieren kann. Trotz 12 und mehr Stunden Arbeitszeit müssen in vielen Familien weltweit die Kinder mit ran, weil das Geld kaum zum Leben reicht.

Wir hier in Europa freuen uns dann über das billige T-Shirt, das günstige Handy, den Kaffee im Sonderangebot. Und verstärken damit den Trend zu immer billigerer Produktion.

Ist das gerecht? Können wir denn anders? Unsere Geldbeutel sind doch auch nicht unendlich gefüllt, wir müssen doch auf den Preis achten. Aber: Ist das gerecht, wenn es nur noch ums Geld geht?

Amos sagt: Nein. Er fordert Recht und Gerechtigkeit.

Wo es nur noch ums Geld und Gewinnmaximierung geht, da bleibt der Mensch auf der Strecke. Dann wird der Mensch immer mehr nur zu einem Produktionsfaktor, der lediglich Kosten verursacht und den es möglichst zu reduzieren gilt. 

Wenn es nur noch um Geld und Gewinnmaximierung geht, dann bleiben auch die hehren Ziele von Freiheit und Demokratie auf einmal auf der Strecke. Jahrelang wurde Libyen mit Waffen beliefert, was unserer Industrie zugute kam. Und nun werden mit diesen Waffen Menschen ermordet. Und sollte die UNO oder die NATO doch noch eingreifen, steht sie Waffen aus den eigenen Ländern gegenüber. Recht und Gerechtigkeit? Möglicherweise noch so etwas wie Frieden? Davon sind wir weit entfernt.
Doch erst einmal zurück zu Amos. Schon zu seiner Zeit gab es Reiche und Arme, und die Reichen nutzten ihre Macht aus, um die Armen zu unterdrücken und auszubeuten.
Und dann gingen sie zufrieden in die Synagoge, um zu Gott zu beten und ihm für ihr Leben zu danken.

Da kommt Amos daher und redet im Namen Gottes, und was er sagt, das entsetzt die Menschen. In drastischen Worten redet er. Gott will eure Gottesdienste nicht haben, solange so viel Unrecht geschieht auf der Welt! Die reichen Frauen beschimpft er als Kühe. Und dann richtet er ihnen, die regelmäßig in die Synagoge gehen, von Gott aus:
Gott spricht: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. 22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Heißt das, wir sollten jetzt sofort aufhören, Gottesdienst zu feiern? So lange, bis wir es geschafft haben, auf unserer Welt etwas mehr Gerechtigkeit zu erreichen? Heißt das: Solange noch ein Mensch auf dieser Welt verhungert, braucht ihr euch überhaupt nicht mehr zu versammeln, denn Gott will es nicht? Heißt das: Solange noch Menschen unter Verfolgung leiden oder wie in Libyen, China, Iran und anderswo um ihr Leben bangen müssen, wenn sie ihre Rechte einfordern, solange müssen wir unsere Kirchen schließen?

Ja, das heißt es. Zumindest, solange ihr es nicht wenigstens versucht habt. Wenn euer Glaube sich nicht auch in Taten äußert, dann ist er völlig nutzlos. Dann braucht ihr in der Tat nicht in die Kirche zu kommen. Wenn ihr meint, der Glaube an Gott wäre eine bequeme Sache, da geht es immer nur um Liebe und Vergebung, und wenn ich einmal in der Woche in die Kirche komme, dann ist alles gut – wenn ihr das meint, dann seid ihr hier falsch. Nein: Der Glaube an Gott ist nichts, worauf man sich ausruhen könnte. Der Glaube an Gott ist etwas, was uns in Bewegung setzt. In Bewegung auf unsere Mitmenschen zu. In Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung. Im Kleinen wie im Großen.

Unsere Welt heute ist viel komplexer als zur Zeit des Amos. Wir werden es nicht schaffen, alle Übel der Welt auf einmal anzupacken. Aber wir dürfen auch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und verzagen. Wir hören jede Woche davon, dass Gott uns liebt. Aber das ist auch eine Verpflichtung für uns, diese Liebe an andere weiterzugeben. Ja, natürlich, wir tun schon was. Wir spenden für gute Zwecke, vielleicht für die Diakonie. Wir beten für Menschen in Not, auch das darf man niemals unterschätzen. Und gerade die Schonunger Gemeinde hat beim fairen Handel und bei der Bewahrung der Schöpfung schon immer eine Vorreiterrolle gespielt. Das ist gut so und ich hoffe, dass es auch in Zukunft so bleibt.

Auch wenn wir es uns vielleicht nicht immer leisten können, einmal nicht die billigste Ware zu kaufen: Vielleicht wäre das ein Anfang. Wenigstens an manchen Punkten darauf zu achten, wo etwas, das wir kaufen, wie hergestellt wurde. Obst aus der Region stärkt unsere Bauern und muss nicht durch halb Europa transportiert werden. Bio-Produkte und fairer Handel stärken die Produzenten, der faire Handel sorgt für mehr Gerechtigkeit und dadurch auch mehr Frieden. Die Solaranlage auf dem Kirchendach zeigt: Wir nehmen unsere Verantwortung für die Schlöpfung ernst. 

Eine unendliche Liste könnte das werden, Sie wissen es selbst. Keiner kann alles tun. Aber wir dürfen auch nicht die Hände in den Schoß legen.

Recht und Gerechtigkeit sollen strömen wie ein nie versiegender Bach. Das ist eine hohe Forderung. Das ist das Resultat der Liebe Gottes zu uns, wenn wir sie weitergeben. Wenn alle Christen weltweit so viel dazu beitragen, wie sie eben können, dann sieht unsere Welt bald anders aus. Gerechter. Friedvoller. Versöhnter. Liebevoller. Und ich glaube, dann wären auch unsere Gottesdienste für viele Menschen glaubhafter und attraktiver.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.