Weihnachtspredigt 2016: Fürchtet euch nicht!

Liebe Gemeinde!

Frohe Weihnachten! Können wir uns das überhaupt noch aus vollem Herzen gegenseitig wünschen? Wenn ich mir ansehe, was in diesem Jahr alles geschehen ist. Wie viel Krieg, Terror, Anschläge es gegeben hat. Wie viele Millionen Menschen auf der Welt auf der Flucht sind. Ich möchte gar nicht alles aufzählen, was dieses Jahr so geschehen ist. Und jetzt vor weniger als einer Woche dieser Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Frohe Weihnachten? Wirklich?

„Angst!“ titelte die BILD-Zeitung am Mittwoch. Angst macht sich breit. Wie wird das kommende Jahr werden? Was macht der neue US-Präsident? Wird es vielleicht Krieg geben? Oder weitere Anschläge, auch hier bei uns?

Angst sollt ihr haben, das wollen die Terroristen erreichen. Und die BILD bringt es aufs Titelblatt. Nichts bringt unsere Lebensweise so sehr zum Erliegen wie Angst. Kontrollen werden mehr, Freiheiten weniger. Polizisten mit Maschinengewehren schützen an sich friedliche Weihnachtsmärkte – das ist doch krank. Das ist doch nicht die Welt, in der wir leben wollen.

Angst macht sich breit. Vielleicht haben Sie auch in Ihrem privaten Leben Angst vor der Zukunft. Eine Krankheit, die sich breitmacht. Ein Konflikt, der die Familie belastet. Ein finanzielles Problem oder sonst etwas. Wie wird Ihr Leben aussehen, sagen wir: Heute in einem Jahr? Besser? Schlechter? Haben Sie Angst? Blicken Sie zuversichtlich ins neue Jahr?

Angst, titelt die BILD. Angst macht sich breit. Und wir sollen und wollen Weihnachten feiern. Wie soll das gehen?

Die Berliner Morgenpost, deren Redaktion 300 Meter vom Anschlagsort entfernt liegt, hatte am gleichen Tag ein völlig anderes Titelblatt. „Fürchtet euch nicht“. Aus der Weihnachtsgeschichte. Der Engel des Herrn spricht das zu den Hirten, denn die hatten genau das: Angst. Sie fürchteten sich vor dem, was da auf sie zukam.

Zugegeben, so ein Engel mag etwas anderes sein als das, was da auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin geschehen ist. Anders als alles, was Ihnen ganz persönlich Angst macht. Aber für die Hirten war es bedrohlich. Sie wussten nicht, was das ist, was ihnen da geschieht. Sie hatten Angst davor, weil sie es nicht kannten.

„Fürchtet euch nicht!“ - so sagt der Engel zu ihnen. Ein Satz, der so häufig in der Bibel vorkommt wie wohl kaum ein anderer. Fürchtet euch nicht!

Das bedeutet nicht: Seid unvorsichtig, macht was ihr wollt, ihr seid gegen alles Leid und jegliches schlimme Geschehen gefeit. Eine Mutter sagte mal im Taufgespräch zu mir: „Wir lassen unser Kind taufen, damit es nicht mehr krank wird.“ Nein, das heißt es natürlich nicht. Die Taufe und auch dieses „Fürchtet euch nicht!“, das ist keine Schutzimpfung gegen das Böse in dieser Welt. Oder vielleicht doch, aber anders, als die Mutter dachte. Es heißt: Alles Böse auf der Welt mag euch manches antun können. Nur eines nicht: Alles Böse dieser Welt kann nicht eure Verbindung zu Gott lösen. Nichts kann das. Kein Terror, keine Krankheit, kein Leid, nicht mal der Tod. Gott ist treu auf ewig. Und darum fürchtet euch nicht.

Denn heute, in dieser Nacht, ist Gott einer von uns geworden. Und zwar nicht einer von denen, die da versuchen, Macht auszuüben und Angst und Schrecken zu verbreiten. Gott ist einer von uns geworden. Klein, verletztlich, machtlos. Wir sind in unserer Machtlosigkeit, in unseren Sorgen, in allem, was uns geschieht, nicht allein. Gott ist einer von uns geworden. Paradoxerweise schreibt ausgerechnet die BILD nach mehreren Seiten voller Angst das auf der Rückseite dieser Ausgabe: „Wir sind nicht allein.“

Im Licht der Ereignisse von Berlin, wo die Menschen fröhlich im Licht der Weihnachtsmarktstände feierten, klingt dann unser heutiger Predigttext aus dem Johannesevangelium harsch, schroff, aber glasklar:

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Das ist die Botschaft von Weihnachten: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn in die Welt sandte. Nicht, um jetzt alles kurz und klein zu hauen und die Bösen zu vertreiben – das würden wir uns vielleicht wünschen, ja, das wäre schön. Ein von oben verordneter Frieden. Klappe, sonst setzt‘s was. Kannten die Leute damals zu Jesu Zeiten auch: Die römische Besatzungsmacht sorgte mit harter Hand für Ruhe und Ordnung, und wer nicht spurte, wurde gekreuzigt, das war ja damals durchaus üblich.

Nein, der Sohn Gottes richtet die Welt nicht. Durch ihn soll sie gerettet werden, und zwar die ganze Welt, nicht nur die, die wir für „gut“ halten. Er ist das Licht der Welt. In seinem Licht erkennen wir, was wir getan haben. Das Gute und das Böse.

Darum meiden die Bösen dieses Licht, weil darin ihre Taten erkannt werden. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.

Sprich: In Jesus konnten die Menschen Gottes Willen erkennen. Und der hieß und heißt auch heute noch: Liebe. Einfach nur Liebe. Gott lieben, seinen Nächsten lieben, sich selbst lieben. Aber „die Menschen waren böse und liebten die Finsternis mehr als das Licht“. Da gibt es Menschen, die Hass säen. Oft aus religiöser Verblendung. Übrigens nicht nur im Islam, die gibt‘s auch bei uns Christen, bei den Hindus, in allen Religionen. Genauso wie es in allen Religionen Menschen gibt, die dieses Gebot der Liebe befolgen.

Und nun? Was sagt uns das? Wie können wir heute Weihnachten feiern?

Vielleicht so: Weihnachten, das ist das Fest der Liebe. Diese Liebe ist immer wieder bedroht durch die Menschen, die die Finsternis mehr lieben als das Licht. Manchmal auch durch uns selbst, denn auch wir sind davon nicht ausgenommen. Aber davon und von unserer Angst dürfen wir uns nicht beeindrucken lassen. Unsere Aufgabe ist nur eines: Lieben. Und zwar auch unsere Feinde. Selbst den, der diesen LKW fuhr. Wäre er lebendig gefasst worden, hätte er seine Strafe bekommen müssen, das ist klar. Aber wir dürfen uns nicht vom Hass überwältigen lassen.

Alle Menschen lieben, selbst unsere Feinde, selbst die, die uns Böses tun: Das ist unmenschlich, völlig blauäugig und auch kaum zu schaffen, ich weiß. Aber vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, diese kranke Welt zu heilen. Und es ist das, was Jesus uns aufgetragen hat. Sie erinnern sich? Liebt eure Feinde. Haltet die andere Wange hin. Und lauter solche verrückten Dinge, die völlig unserer Erfahrung widersprechen.

Lieben, ohne Furcht. Das hört sich so einfach an und ist es doch nicht. Aber wir ahnen, dass es nur so geht. Dass wir nur so zu Frieden und Versöhnung kommen können. Das wissen – oder ahnen – nicht nur wir Christen. Ich zitiere heute mal Meister Yoda aus der Star Wars-Reihe.

„Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut. Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.” (Star Wars I: Die dunkle Bedrohung)

Also: Fürchtet euch nicht! Weihnachten ist das Fest der Liebe. Der Freude. Des Lichts. Nicht das Fest der Furcht. Heute, an diesem Tag, spüren wir: Gottes Liebe ist uns ganz nah. Mitten in dieser kaputten Welt ist Gott dabei und lässt sich genau so kaputt machen, wie wir es sind. Und wenn wir Gottes Liebe weitergeben, und zwar an alle und ohne Furcht, dann kann es wirklich Weihnachten werden in der Welt. Dann brauchen wir auch keine Furcht zu haben. Im ersten Johannesbrief steht dazu ein ganz wunderbarer Satz:

„Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ (1. Joh 4, 18a)

Heute, in dieser Nacht, können wir feiern. Können dieses Wunder feiern: Christus, unser Retter, ist da. Er macht die Welt nicht auf einen Schlag heil von allem Bösen. Aber das Licht ist in die Welt gekommen. Und so, wie es ab heute jeden Tag wieder ein bisschen heller wird und die Tage länger, so kommt auch Gottes Liebe in unsere Welt. Langsam, kaum zu sehen, aber voller Liebe und ohne Furcht. Christ, der Retter, ist da. Er bringt uns die Liebe. Und das verändert alles.

Fürchtet euch nicht!

Frohe Weihnachten!

Amen.