Ansprache bei der MehrWegGottesdienst-Zoomandacht: (Zuh)aushalten
Ansprache beim MehrWegGottesdienst am 21.3.2021 „(Zuh-)aushalten“
Ehrlich, irgendwann im Februar dachte ich, na ja, bis wir unsere Zoom-Andacht feiern, ist das ganze Thema Lockdown wahrscheinlich rum und wir stehen blöd da mit diesem Thema „Zuhaushalten“.
Wäre mir, ehrlich gesagt, lieber gewesen.
Stattdessen war ich diese Woche fast nirgends außer in diesem Dachzimmer zu Hause, in dem ich mit euch diesen Gottesdienst feiere. Mal beim Einkaufen, klar, und mal mit dem Hund raus, aber das war’s. Und auch ich bin müde. Mag gar nicht planen. Es gibt noch nicht mal einen festen Termin für den nächsten MehrWegGottesdienst, ich bitte euch um Entschuldigung dafür.
In unserem Team haben wir lange darüber diskutiert, ob wir überhaupt in das Leben zurück wollen, das wir vorher hatten.
Wie geht es euch damit? Schreibt einfach nebenher in den Chat, was euch beschäftigt, ich versuche, das mit aufzunehmen, kann es aber nicht versprechen.
Manche meinten: „Ich habe vorher auch schon so gelebt, wie ich leben möchte“. Wow, was für ein Luxus. Andere sagten: Nein, die Tretmühle von vorher will ich nicht mehr haben. Oder: „Ich möchte endlich die Enkelkinder wieder sehen können! Und einer, ich weiß nicht mehr wer, mit einem Augenzwinkern: Wenigstens sind die Gottesdienste viel wichtiger geworden, das ist das einzige kulturelle Highlight, das noch geht!
Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir nicht einfach wieder da weitermachen, wo wir vor etwas über einem Jahr aufgehört haben. Die Krise als Chance begreifen. Ja, das ist total ausgelutscht, ich weiß. Aber es ist nun mal so und ich erlebe das immer wieder: In jedem Leben gibt es schwierige, ja schwerste Momente. Das muss selbst jetzt gar nicht unbedingt Corona sein. Vielleicht eine schmerzhafte Trennung. Eine Krankheit, die plötzlich über einen hereinbricht. Ein Unfall. So vieles, was uns zustoßen kann.
Wenn ihr im Chat davon berichten wollt, denkt bitte daran, dass euch fremde Menschen mitlesen, und geht nicht zu viel ins Detail.
Als Pfarrer erlebe ich in Gesprächen immer wieder, dass Menschen auf solche Krisen sehr unterschiedlich reagieren. Die einen ziehen sich komplett zurück. Sagen vielleicht: „Wenn Gott zulässt, dass mir so etwas zustößt, dann kann ich an diesen Gott nicht mehr glauben.“ Und die anderen, in genau der gleichen Situation, nehmen die Krise an. Hadern mit Gott, aber geben nicht auf. Und finden, wenn es gut geht, hinterher zu einem viel tieferen, festeren Glauben. Oder sie finden neue Wege für ihr Leben. Sie gehen gestärkt aus der Krise hervor. Haben – auch das klingt jetzt platt, aber ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll – haben in ihrem Leben eine neue Tiefe gefunden.
Ich will das überhaupt nicht werten. Denn ich kann ja nicht in die Menschen hineinsehen. Ich weiß nicht, was die einen dazu befähigt, mit Krisen produktiv umzugehen, und was die anderen daran hindert.
Wir mussten in unseren Gesprächen an die Krise einer sehr bekannten Persönlichkeit denken. Margot Käßmann. Sie war mal EKD-Ratsvorsitzende. Also das, was Heinrich Bedford-Strohm jetzt ist. DAS Gesicht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Bekannt, zum großen Teil auch beliebt.
Und dann wurde sie mit Alkohol am Steuer erwischt. Wie so viele. Aber bei der obersten Evangelischen ist das natürlich ein Skandal, von der erwarten die Menschen, dass sie nahezu fehlerfrei und vorbildlich lebt. Auch so ein Projektionsding, aber darum geht’s jetzt gar nicht. Viele hätten vielleicht gesagt „ach was, Schwamm drüber, weiter geht’s.“ Doch sie ist von allen Ämtern zurückgetreten. Konsequent. Gefallen von ganz oben. Und dann sagte sie einen recht pathetischen Satz, der aber in dieser Situation ihren tiefen Glauben und ihr Vertrauen offenbarte:
Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Diese Hand – sie kann manchmal ganz schön tief unten sein. Und es ist auch nicht so einfach wie „und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Nein, das wäre zu platt. Ich denke an Jesus. Auch er dachte, es geht nicht mehr – und es ging auch nicht mehr. In knapp zwei Wochen ist Karfreitag. Da hing er, am Kreuz, und seine letzten Worte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Manchmal ist Gottes Hand, die uns auffängt, tiefer als der Tod. Aber: Sie ist da. Das alles ist schwer zu begreifen und schwer auszuhalten. Da ist unser Titel wieder: Aushalten. Selbst die ganz schlimmen Krisen.
Aber: Gott will nicht unser Leiden. Er will, dass wir leben. Dass wir frei sind. Dass wir befreit lachen können. Vorhin haben wir’s gehört: Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Daran halte ich mich fest. In allen Krisen, auch jetzt in der Corona-Zeit.
Amen.