Karfreitagstanz

Ich mag gar nicht auf Twitter gehen heute. Mir scheint fast, dass es für viele Menschen nichts Wichtigeres zu geben scheint, als 366 Tage im Jahr Tanzen gehen zu dürfen. Eine Woge von Gehässigkeit wogt durch Twitter, über diese rückständige Kirche, die es einem nicht erlaube, an diesem Tag zu tanzen. Wo bleibe denn da die Toleranz und überhaupt.

Zunächst einmal ganz klar die Feststellung: „Die Kirche“ kann nicht allzu viel dafür. Der Karfreitag ist ein kirchlicher Feiertag, natürlich. Das Gesetz aber hat der Staat erlassen; genauer gesagt, die einzelnen Bundesländer. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Auslegungen dessen, was am Karfreitag erlaubt ist und was nicht. Wikipedia liefert da eine ganz gute Übersicht. Auch staatliche Feiertage, insbesondere der Volkstrauertag, werden vom Tanzverbot geschützt.

Dann das andere: Um meinen Karfreitag begehen zu können, brauche ich kein allgemeines Tanzverbot. Auch in der DDR haben Christen den Karfreitag gefeiert. Auch in China feiern sie ihn. Oder meinetwegen in den USA. Nein: Die Bedeutung des Karfreitags hängt wirklich nicht daran, ob an diesem Tag alles stillsteht, inklusive der Discos.

Aber ich glaube: Unserer Gesellschaft täte ein wenig Rücksicht gut. Wenn meine Nachbarn einen Trauerfall in der Familie haben, werde ich sie auch nicht mit lauter Ballermann-Musik beschallen. Wenn die Kollegin auf der Arbeit Sorgen hat, werde ich ihr vielleicht eher Arbeit abnehmen statt noch neue aufbrummen.

Rücksicht aufeinander nehmen: Kommen die Kirchen so hochnäsig daher? Wie können wir zu einem rücksichtsvollen, ja liebevollen Umgang mit den Nichtchristen in unserer Gesellschaft kommen? Nur dann können wir ja umgekehrt auch selbst Rücksicht einfordern. Das Tanzverbot können wir jedenfalls nicht abschaffen, wir haben's ja auch nicht eingeführt.

Unserer Gesellschaft täte ein wenig Rücksicht gut. Und die Frage: Welche Werte einen uns eigentlich noch? Wir kommen aus einer christlich geprägten Kultur, ob wir das nun gut finden oder nicht. Unser Grundgesetz beginnt in seiner Präambel mit den Worten: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“

Ich denke, es ist keine Frage von „Trennung von Kirche und Staat“, wenn der Staat die Feiertage der überwiegenden Mehrheit seiner Bevölkerung besonders schützt. Es ist im Gegenteil etwas, was uns allen gut tut, glaube ich. Verschnaufpausen außer der Reihe. Willkommene Gelegenheit, mit wenigen Urlaubstagen mal eine ganze Woche frei zu haben. Wir sind keine Maschinen. Wir brauchen Feiertage. Ruhephasen. Und zwar auch mal gemeinsam.

Der Karfreitag soll kein Tag des Zwangs sein. Er ist ein Angebot. Ein radikales Angebot Gottes: Sein eigenes Leben – für uns. Für viele mag das wie ein Hirngespinst klingen. Ich finde: Es ist es wert, dafür mal zur Ruhe zu kommen. Darüber nachzudenken, was mein Leben ausmacht, ganz egal, ob ich an diesen Gott und an Jesus glaube oder nicht. Klar zu sehen, was gut läuft, was nicht. Und dann erlöst aufzuatmen. Frei zu lachen. Voller Lebendigkeit: Am Ostermorgen. Und dann, ja, dann auch zu tanzen. Erlöst und frei.

Comments

Ich glaube, der erste Knackpunkt liegt darin, daß das Gesetz archaisch und deshalb unsinnig anmutet. Echte, gläubige Christen, die diesen Tag in echter Trauer begehen, dürften inzwischen sehr, sehr rar geworden sein. Ich persönlich nehme weder dem Gesetzgeber noch der Kirche ab, daß es noch eine echte Notwendigkeit für dieses Verbot gibt. Es ist längst ein Trauerheuchelgebot geworden, eine reine Machtdemonstration. Und selbst wenn der eine oder andere tatsächlich ausgerechnet genau an diesem Tag um Jesus trauern muß - wo ist das Problem, wenn ich als Atheistin dennoch in der Innenstadt ein lustiges Musical besuche, von dem kein Ton nach außen dringt? Die sind nämlich unter vielem anderen an den stillen Feiertagen auch verboten. Das ist der zweite Knackpunkt: Die Vorschriften für die eigentliche Umsetzung sind völlig überzogen. Das Verbot gilt unabhängig von der objektiven Wahrnehmbarkeit der jeweiligen Veranstaltung - und da hört bei mir a) die Definition von Rücksichtnahme und b) jegliches Verständnis auf.

... Wann ich eine Verschnaufpause brauche und wann sie mir total ungelegen kommt, kann immer noch ich selbst am besten entscheiden. Für mich persönlich ist der Feiertagsmarathon um Ostern herum eigentlich nur lästige Gängelei. Gleiches gilt für Weihnachten. Es ist einfach zu viel des "Guten".

Ich fände es sinnvoller, alle religiösen Feiertage abzuschaffen, ihre Anzahl dem Urlaubsanspruch zuzuschlagen und dann jedem das Recht zu geben, sich an für ihn wichtigen Feiertagen eben frei zu nehmen. Das würde auch endlich der Tatsache Rechnung tragen, daß das Christentum längst nur noch eine von vielen Religonen in Deutschlan ist. So käme jede dieser Gruppen zu ihrem Recht.

Es ist echt nicht auszuhalten. Gegenüber allem und jedem "Fremden" zeigen wir Toleranz, um ja nicht als respektlos und fremdenhassend dazustehen...nur unsere eigenen Traditionen gehen immer mehr den Bach runter. Wir haben christliche Wurzeln, unser ganzer Wochen- und Jahresablauf ist darauf ausgelegt und unterbricht sehr wohltuend (und das bestätigen sicher ALLE) unseren Alltag. Doch immer mehr müssen wir uns vor der "Gesellschaft" (wer auch immer dahinterstehen mag) für unsere Wurzeln rechtfertigen, ja fast schon "schämen". Der Sonntag ist nur noch ein x-beliebiger Tag in der Woche....man muss ja am besten rund um die Uhr shoppen. Die Öffnungszeiten der Geschäfte werden immer mehr in den Abendbereich verlagert, wodurch Mütter ihre kleinen Kinder in Betreuungsstätten bis 21 Uhr "abstellen" müssen, weil ja Flexibilität und rundum Verfügbarkeit verlangt wird. Und nicht mal an einem Tag im Jahr kann RUHE herrschen in dieser Hektik??? Welch eine Oberflächlichkeit überflutet uns und alle schreien auch noch "Hurra"...wir müssen uns ja an das "globale Denken" anpassen ....

 

Weg mit den Traditionen, wir brauchen keine Wurzeln, offen für ALLES, nur nicht für uns selbst...

 

Wer glaubt, ich sei weltfremd ... altbacken... festgefahren...der irrt. Ich brauche WURZELN, denn nur die geben Halt...und Traditionen sind eine schöne pflegenswerte Form dieser Wurzeln.

 

 

 

@Gast: Fahren Sie mal nach Südamerika oder in die Karibik und schauen Sie sich an, wie dort Ostern gefeiert wird. Sind deren Feste deshalb weniger christlich? Wohl eher nicht. Es geht also ganz offensichtlich auch ohne verbiesterte Griesgrämigkeit. Was zeigt uns das? Es gibt nicht "den" richtigen Weg, Ostern zu feiern. Man könnte andersdenkenden also durchaus auch ihre eigene Art, den Tag zu verbringen, zugestehen. Ob nun südamerikanisch oder atheistisch. Und wenn sogar Schachturniere dran glauben müssen, ist die Grenze zum Absurden doch weit überschritten: http://www.heise.de/tp/blogs/6/151747<BR><BR&gt;

Und nein, ich stimme Ihnen nicht zu. Mir sind die Feiertage nicht willkommen, die mir nach einer Tradition, mit der ich nichts am Hut habe, aufs Auge gedrückt werden. Das ist alles andere als wohltuend, sondern schlicht lästig. Überall sonst wird von mir Flexibilität ohne Ende verlangt - aber ausgerechnet, wenn es um meine Erholung geht, soll ich mich Kirchentraditionen unterwerfen, die meiner Familie schon seit 2 Generationen am Poppes vorbeigehen? Nö! Ich möchte selbst entscheiden, wann ich arbeiten darf oder mich erholen kann. Und schon gar nichts halte ich von vorgeschriebenen Zeiten für geistige "Einkehr". Trauer nach Stundenplan - na super! ^^<BR><BR>

 

Zitat: "Gegenüber allem und jedem "Fremden" zeigen wir Toleranz, um ja nicht als respektlos und fremdenhassend dazustehen...nur unsere eigenen Traditionen gehen immer mehr den Bach runter."<BR><BR>

Tja. Grundlos passiert sowas nicht. Traditionen können sich überleben, und genau das ist hier passiert. Das bloße "Tradition sein" hat doch keinen intrinsischen, schützenswerten Wert. Wenn sich zu viele Menschen damit nicht mehr identifizieren können, ist eben Feierabend mit der Tradition und sie verschwindet in der Versenkung. Keine Angst, es werden neue kommen. Vielleicht ein "Tag der Vernunft" der Atheisten, an dem jeder tun darf, was er möchte, solange kein anderer darunter zu leiden hat.<BR><BR>

Das Karfreitags-Tanzverbot in der aktuellen Ausprägung (= kein Schach, keine Musicals, keine Komödien, kein Sport, und, und, und...) sowie das Gezeter seiner Verfechter erinnert mich jedenfalls an Paul Watzlawicks Geschichte mit dem ältlichen Fräulein und den kleinen Jungs am Fluß:<BR><BR>

"Eine alte Jungfer, die am Flußufer wohnt, beschwert sich bei der Polizei über die kleinen Jungen, die vor ihrem Haus nackt baden. Der Inspektor schickt einen seiner Leute hin, der den Bengeln aufträgt, nicht vor dem Haus, sondern weiter flußaufwärts zu schwimmen, wo keine Häuser mehr sind. Am nächsten Tage ruft die Dame erneut an: Die Jungen sind immer noch in Sichtweite. Der Polizist geht hin und schickt sie noch weiter flußaufwärts. Tags darauf kommt die Entrüstete erneut zum Inspektor und beschwert sich: »Von meinem Dachbodenfenster aus kann ich sie mit dem Fernglas immer noch sehen!«<BR><BR>

Man kann sich nun fragen: Was macht die Dame, wenn die kleinen Jungen nun endgültig außer Sichtweite sind? Vielleicht begibt sie sich jetzt auf lange Spaziergänge flußaufwärts, vielleicht genügt ihr die Sicherheit, daß irgendwo nackt gebadet wird. Eines scheint sicher: Die Idee wird sie weiterhin beschäftigen. Und das Wichtigste an einer so fest gehegten Idee ist, daß sie ihre eigene Wirklichkeit erschaffen kann."

Eine alte Giordano-Bruno-Stiftung, die am Flußufer wohnt, beschwert sich bei der Polizei über die Christen, die vor ihren Augen Kreuze aufhängen. Der Kultusminister schickt ein paar Leute hin, und in den Schulen werden einige Kreuze abgehängt. Am nächsten Tage ruft die Stiftung erneut an: Sie könne nicht unbeschwert leben, denn jeden Karfreitag sei ihr das Tanzen in der Öffentlichkeit strengstens untersagt (das gilt zwar für den Volkstrauertag auch, das interessiert sie aber seltsamerweise nicht.) Also lockert das Innenministerium die Vorschriften für die Stillen Tage. Tags darauf kommt die Entrüstete erneut zum Inspektor und beschwert sich: "Von meinem Dachbodenfenster aus kann mit dem Fernglas immer noch einen Kirchturm sehen!"

(Entschuldigung, wenn ich ganz gegen meine Gewohnheit in einem öffentlichen Kommentar ein wenig sarkastisch geworden bin.)

Antwort auf von Heiko Kuschel

Wenn überhaupt, wurde die Überwachung verschärft, aber sicher keine Bestimmung gelockert. Wie lautet denn die Stellungnahme zum Schachturnierverbot? Wo ist da die Toleranz? Wen könnte denn bitte ein Schachturnier bei seiner "Einkehr" oder sonstwas stören? Spätestens da ist deine Logik doch am Ende, Heiko.

Antwort auf von Ute G (nicht überprüft)

Ich habe nur deine Geschichte genommen und sie ein bisschen in die Zukunft gesponnen. Dass die Überwachung verschärft wurde, ist ja schließlich definitiv keine kirchliche, sondern eine staatliche Entscheidung.

Zum Schachturnierverbot: Eine kleine Sache am Rande, illustriert sie aber doch etwas ganz schön. So wie sich mir die Geschichte darstellt, haben die Kirchen jahrelang dieses Turnier geduldet, nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Nun aber hat die Stadt darauf bestanden, dass eine offizielle Stellungnahme der Kirchen eingeholt wird. Das hätten sie sich aber vorher ausrechnen können: Wie soll denn bitteschön eine kirchliche Stelle anders darauf reagieren? Soll sie sagen: Gut, wir kennen die gesetzliche Lage, aber wir pfeifen darauf? In offiziellen Stellungnahmen sind wir ja wohl verpflichtet, staatlichen Gesetzen Folge zu leisten. Wäre ich Dekan, ich hätte mir im Stillen gedacht "Ihr Hornochsen! Warum müsst ihr mich nur fragen? War doch immer alles gut so." - aber offiziell trotzdem sagen: Am Stillen Tag darf es auch kein Schachturnier geben. Alles andere hat der Staat zu entscheiden. Punkt.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob die Proteste gegen das Tanzverbot am Volkstrauertag genau so groß sind wie am Karfreitag. Wenn nicht, wird das meinen Verdacht erhärten: Dass viele von denen, die gestern so unbedingt tanzen wollten, dies nur als einen Vorwand in ihrem "Kampf" gegen die Kirche sehen und es eigentlich gar nicht ums Tanzverbot geht.

So, das reicht für heute. Es ist Osternacht. Lange nicht mehr Karfreitag Frohe Ostern! 

Tradition ist das Weitergeben von Handlungsmuster, Überlieferungen und Glaubensvorstellungen an kommende Generationen. Es ist unser Erbe, wenn man so will...auch wenn sich nur einer damit identifiziert, ist es keineswegs umsonst, sie zu pflegen. Sie können von mir aus auf alles verzichten, was Generationen vor Ihnen als wichtig empfunden haben...aber...respektieren Sie die Generationen nach uns, die ein Recht auf Überlieferung haben. Auch sie dürfen für sich selbst entscheiden, ob sie diese Traditionen leben wollen oder eben nicht (wie Sie). Doch man kann sich nur für oder gegen etwas entscheiden, wenn man die Möglichkeit bekommen hat, es auch kennen zu lernen.

 

@ Zitat: Fahren Sie mal nach Südamerika oder in die Karibik und schauen Sie sich an, wie dort Ostern gefeiert wird. Sind deren Feste deshalb weniger christlich? Wohl eher nicht. Es geht also ganz offensichtlich auch ohne verbiesterte Griesgrämigkeit.

Btw....Karfreitag ist noch nicht Ostern ^^  ...

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

"Auch sie dürfen für sich selbst entscheiden, ob sie diese Traditionen leben wollen oder eben nicht (wie Sie)"

Eben nicht. Da ist ja das Gesetz vor. Wenn meine Familie an diesen Tagen eine ganz andere Tradition hätte - zum Beispiel Tanz und Gesang -, dann dürfte ich die auch nicht ausleben, weil die Ihre Priorität bekommt. Mit welchem Recht? Nur dem der Gewohnheit? Das ist kein gutes und auch kein haltbares, wie man am wachsenden Protest sieht.

Antwort auf von Ute G (nicht überprüft)

Jeder darf für sich in seinen Grenzen tun und lassen, was er will...solange er nicht in den Raum anderer eindringt....--- das Gesetz schützt demnach lediglich den Raum der anderen, denen Traditionen wichtig sind und die sie bewahren wollen.

Ich persönlich fände es traurig, wenn ich am Sonntag arbeiten müsste, nur weil keinem diese religiöse Ruhepause mehr etwas bedeutet. Ich persönlich fände es traurig, wenn das Jahr keine Unterbrechungen in Form von Festen hätte, sondern nur noch aus Arbeits- und individuellen Urlaubstagen bestünde.

Ich habe diese religiösen Traditionen kennen und schätzen gelernt...es wäre traurig, wenn wir unseren Kindern diese Chance nehmen würden.