Tröstet mein Volk! Tut Buße! Liebt!

Predigt am 3. Sonntag im Advent 2006/2009
Gochsheim, 16./17.12.2006; Rothhausen/Poppenlauer 13.12.2009
Text:Jes 40, 1-8 (9-11)

Ihr Schlangenbrut!
Wer hat euch denn so sicher gemacht, dass ihr dem Zorn Gottes entrinnen werdet? Was habt ihr denn getan, um Gott zufriedenzustellen? Schaut, dass ihr Buße tut, jeder von euch. Und versteckt euch nicht hinter dem Satz: „Jesus ist doch für uns gestorben, Gott wir uns nicht bestrafen!“.
Ich sage euch: Wenn ihr Gott nicht gefallt, dann macht er sich eben neue Gläubige hier aus diesen Steinen. Wer sich nicht ändert, sein ganzes Leben ändert, der wird abgehauen wie ein Baum, der keine Früchte bringt.

So ähnlich, liebe Gemeinde, klang das, was Johannes der Täufer predigte, so um das Jahr 30 nach Christi Geburt. Natürlich bezog er sich nicht auf Jesus, sondern auf Abraham als den Urvater ihres Glaubens. Aber ansonsten waren das fast die Original-Worte, wie wir sie in der Bibel lesen.

In der Wüste war Johannes unterwegs, am Jordan, dem heiligen Fluss, predigte er. Und die Menschen kamen zu ihm, bekannten vor Gott, dass sie ihr Leben ändern wollten. Ließen sich von Johannes beschimpfen, nahmen zerknirscht seine Botschaft an.

Und doch sagte er immer: Ich bin nicht der Retter. Es kommt ein anderer, der ist größer als ich. Bereitet euch vor auf seine Ankunft!

Später, als Jesus gekreuzigt und auferstanden war, haben sich seine Anhänger an Jesaja erinnert. An einen Text, der einen gewaltigen Bruch im Buch Jesaja bedeutet. So gewaltig ist dieser Bruch, dass viele Forscher der Meinung sind: Hier spricht auf einmal ein anderer, aber in der Tradition des Jesaja. Ein zweiter Jesaja, oder in der Fachsprache: Deuterojesaja. Nach 39 Kapiteln, in denen Jesaja das Gericht Gottes über Israel androht, mit durchaus ähnlichen und teilweise noch härteren Worten als Johannes der Täufer es 600 Jahre später tun wird, hat sich die Perspektive geändert. Die Katastrophe ist da. Sie ist nicht mehr nur eine Theorie, in ferner Zukunft. Nein, ein schlimmeres Schicksal hätten sich die Israeliten nie vorstellen können. Jerusalem wurde von den Babyloniern dem Erdboden gleichgemacht, mitsamt dem Tempel. Alles, was Rang und Namen hat, ist nach Babylon verschleppt. Der Rest, einfache Leute, an denen die Babylonier kein Interesse hatten, ist zum großen Teil nach Ägypten geflohen. In Israel lebte kaum noch ein Mensch. Der Staat Israel hatte aufgehört zu existieren. Auch der Tempelkult existierte nicht mehr. Es gab keine Rauch- und Brandopfer mehr. Es gab keinen Hohenpriester mehr, der einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, das Allerheiligste des Tempels betreten durfte. Die Israeliten zweifelten selbst an ihrem Glauben: Gab es diesen Gott überhaupt? Die Götter der Babylonier hatten doch gesiegt. Wo war ihr Gott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs? Hatte er sie verlassen?

Und nun setzt der zweite Jesaja ein. 15 Kapitel lang redet er nicht mehr von Strafe und Gericht. Was er zu sagen hat, das hört sich so an:

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine febene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.
6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Mitten in die größte Hoffnungslosigkeit hinein, die Israel je erlebt hat, hören sie auf einmal diese Worte: „Tröstet, tröstet mein Volk!“

Ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis es wahr wurde: Bis die Israeliten wieder nach Hause durften, ihren Tempel wieder aufbauten. Gott hatte sie nicht vergessen.

Zur Zeit von Johannes dem Täufer waren die Probleme andere: Israel war von den Römern besetzt, einer heidnischen Macht. Die respektierten zwar in gewissem Maß die jüdische Religion, aber ansonsten übten sie eine schreckliche Herrschaft über dieses Land. Viele wurden wegen kleinster Verbrechen hingerichtet, meistens gekreuzigt. Ob Gott wieder kommen würde, sie retten würde? Ob er nun endlich den Messias schicken würde, der sie rettet und Israel wieder groß macht? Der Messias, der Gesalbte, ein Nachkomme von König David, der das Reich Gottes errichten würde. Der Israel wieder groß und strahlend machen würde, so wie 1000 Jahre zuvor unter König David.

Ja, sagt Johannes. Er kommt, der Messias. Bereitet ihm den Weg. Und das heißt: Ändert euer Leben. Ändert es radikal. Denn wenn der Messias kommt, dann braucht er Menschen, die sich ganz auf Gott verlassen. Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen. Menschen, die ihre Sünden bereuen und neu anfangen wollen. Bereitet ihm den Weg! Ihm, dem neuen König, dem Gesalbten Gottes, dem Messias!

Doch als er dann kam, dieser Messias, da war manches anders, als die Menschen es sich gedacht hatten. Ja, er kam. Johannes erkannte ihn bei seiner Taufe. Aber er kam als ein kleines Kind in die Welt. Arm, unscheinbar, in einer Krippe liegend. Nicht als großer König, voller Macht. Er kam und erzählte in einfachen Worten, was Gott von den Menschen wollte: Liebe, Vertrauen und Glauben. Er kam und veränderte die Welt – doch nicht im Großen, sondern indem er sich den Menschen um sich herum ganz zuwendete. Wo er war, da hatte das Reich Gottes angefangen. Und es war kein Reich, in dem die Römer vertrieben wurden. Es war ein Reich, in dem das Böse vertrieben wurde. Wo er war, der neue Messias, da konnten Lahme wieder gehen, Blinde wieder sehen. Und allen, die seine Worte hörten, ging das Herz auf, denn sie verstanden, dass Gott die Liebe ist und nicht Streit, Hass und Vergeltung. Sie verstanden, dass Gott kein „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wollte, sondern ein „Wenn dir einer auf die eine Backe schlägt, dann halte ihm auch noch die andere hin“.

Der Messias, der Gesalbte Gottes, der König über Gottes Reich: Er kam ganz anders, als wir Menschen uns einen König vorstellen. Und doch veränderte er die Welt. So, wie ein kleines Licht die Dunkelheit erhellt – so erhellte er die Dunkelheit unserer Welt mit seiner Anwesenheit.

Noch ist das Dunkel nicht vorbei. Noch gibt es Leid und Schmerz und Hass auf dieser Welt. Noch gibt es Menschen, die verzweifeln an ihrem Leben. Noch gibt es Kinder, die verhungern. Noch gibt es unversöhnlichen Hass zwischen Menschen und zwischen Völkern. Aber da, wo wir leben, wie Jesus es uns gezeigt hat: Da ist das Reich Gottes schon jetzt mitten unter uns. Da brennt die Flamme der Liebe und macht unser Leben hell.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.