Kirche, ganz frisch
Mal ganz ehrlich: Wann waren Sie das letzte Mal im Gottesdienst? Und wenn Sie da waren: Wie sehr haben Sie sich darauf gefreut, da hinzugehen? Oder war das eher eine Pflichtübung für Sie?
Möglicherweise gehören Sie zu denen, die wirklich gerne und regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Aber das werden immer weniger. Dafür steigen die Austrittszahlen. Wie können wir damit umgehen? Wie schaffen wir es, nicht in Depression zu verfallen, sondern weiter fröhlich das Evangelium zu verkünden?
In Großbritannien ist die Situation viel extremer als bei uns in Bayern. Die anglikanische Kirche sah sich schon vor vielen Jahren vor die Frage gestellt: Wie kann Glaube und auch Kirche in einer sich verändernden Gesellschaft weiter präsent bleiben? Wie können wir als Kirche Menschen (wieder) erreichen, die eigentlich gar kein Interesse an unseren Themen haben?
Ein Meilenstein war das Arbeitspapier „mission shaped church“ Die Grundthese: Nicht die Kirche „betreibt“ Mission, sondern Gott. Gott aber nutzt für seine Mission die Kirche. Kirche ist also nicht um ihrer selbst willen zu erhalten, sondern muss sich im Blick auf ihren Missionsauftrag immer wieder neu und immer wieder anders formen.
Unterstützt vom Erzbischof von Canterbury, entstanden in der Folgezeit Tausende von neuen, kleinen Gemeinschaften unter dem Namen „fresh expressions of church“ (kurz: FreshX) - neue Ausdrucksformen von Kirche. Sie wenden sich an Menschen, die bisher mit Kirche wenig Kontakt hatten. Sie tun das, indem sie sich spezialisieren und an die Bedürfnisse der Menschen anpassen, wohl wissend, dass sie nie alle erreichen können.
Die Zeiten der „Volkskirche“ sind in Großbritannien vorbei. Es kann sein, dass eine Gemeinde ihr Kirchengebäude verkauft und die Arbeit lieber in einem Café stattfinden lässt – die meisten sind jedoch nicht so radikal. Das Spektrum der FreshX reicht von großen Kathedralen im Stadtzentrum bis hin zu Jugendkirchen auf dem Land. Von Surferzentren am Strand bis zu interkulturellen Zentren. Von Angeboten für die Ärmsten bis hin zu Büros für moderne Performer.
Seit September haben Katharina v. Wedel, Ullrich Göbel und ich an einem FreshX-Kurs in Würzburg teilgenommen. Daraus haben wir viele Fragestellungen und Ideen mitgenommen, die auch in der Jugendarbeit oder in der Citykirche wichtig sind: Wo sind die Menschen eigentlich? Warum erwarten wir immer, dass sie zu uns kommen – statt dass wir dahin gehen, wo sie sowieso sind? Die Wagenkirche ist ja schon seit Jahren unterwegs in der Fußgängerzone. Auch mit dem Weihnachtsliedersingen im Stadion gehen wir dahin, wo die Menschen sich (zum Teil) „zu Hause“ fühlen.
Auf den Punkt gebracht: Wir müssen eben nicht „die Menschen da abholen, wo sie sind“, so wie ich das früher mal gelernt habe. Wir sind ja schließlich kein Taxiunternehmen. Sondern: Wenn die Menschen woanders sind als wir, dann sind wir am falschen Ort. Wenn sie nicht in die Kirche kommen, kommen wir halt zu ihnen. Dem Evangelium macht das nichts aus.
Dafür müssen wir vielleicht gar keine neuen FreshX gründen. Es reicht schon, mit offenen Augen und Ohren als Christin, als Christ in der Stadt unterwegs zu sein, in den Vereinen, im Fitness-Studio oder sonstwo. Wo bieten sich Anknüpfungspunkte? Wo können wir als Kirche erst einmal für die Stadt, für unseren Ortsteil, unser Dorf da sein, für alle Menschen etwas bewirken? Wie kann unsere frohe Botschaft für die Menschen Bedeutung gewinnen? Als Citykirche/Citypastoral fühlen wir uns da tatsächlich eher auf die Straße berufen. Eine neue Gemeinschaft wollen wir nicht gründen. Wir vertrauen auf den Heiligen Geist, der aus den zufälligen Begegnungen „im Vorübergehen“ etwas wirken kann. Auch wenn wir viele Gemeinsamkeiten mit FreshX sehen: An diesem zentralen Punkt gehen wir einen anderen Weg.
Aber für uns alle – FreshX, Kirchengemeinde, Citykirche und und und – gilt: Wenn es uns nur darum geht, Kirche um der Kirche willen zu erhalten, wird uns das vermutlich nicht gelingen. Denn die Gesellschaft, in der wir leben, verändert sich, wird bunter und uneinheitlicher. Es gibt nicht mehr „die“ Lösung für alle. Da werden wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wahrscheinlich auch manches Liebgewonnenes aufgeben müssen. Denn unser Auftrag ist nicht die Erhaltung der Kirche, wie sie ist. Sondern: Das Evangelium weiterzugeben. Manches wird sich als erhaltenswert herausstellen. Anderes wird sich völlig neu formen. Das ist eine große Herausforderung und auch etwas, was einem erst einmal Angst machen kann. Aber das ist unsere gemeinsame Mission. Oder besser gesagt: Die Mission Gottes, für die er uns gebrauchen will. Jesus sagt uns dazu: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Ich freue mich darauf. Und Sie?
Buchtipp: Sebastian Baer-Henney: Fresh X - live erlebt: Wie Kirche auch sein kann, broschiert, 192 Seiten, Brunnen-Verlag, ISBN 978-3-7655-2042-6, 14,99 € (E-Book 11,99 €) (Besprechung unter https://www.kuschelkirche.de/fresh-x-live-erlebt-wie-kirche-auch-sein-kann
(aus: Gemeindebrief "evangelisch in schweinfurt", Ausgabe 74, August/September 2018)