Predigt: Trotzig, mutig, voll Vertrauen singe ich im Dornenwald

Predigt am 4. Advent, 21.12.2025, in Weipoltshausen und Zell

Text: Lukas 1, 39-56

39 Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda

40 und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.

41 Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt

42 und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!

43 Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?

44 Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.

45 Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.

Marias Lobgesang

46 Und Maria sprach:

Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.

Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan,

der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht

bei denen, die ihn fürchten.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm

und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron

und erhebt die Niedrigen.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern

und lässt die Reichen leer ausgehen.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit

und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern,

Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

56 Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim
 

Tochter Zion, freue dich!

So haben wir gerade gesungen.

Elisabeths Kind hüpft in ihrem Bauch voll Freude.

So haben wir im Evangelium gehört.

Und dann dieses berühmte Lied Marias. Ihr großer Lobgesang.

„Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes!“

Freude über Freude. Gott scheint so nah zu sein!

Alles ist schön! Alles ist gut! Licht, Freude, Leben.

 

Doch ich, ich seufze.

Mein Gebet klingt anders.

Gott. Mein Gott!
Wie gern würde ich das:
Dich erheben.
Auf, meine Seele, erhebe Gott!
Mein Geist freue sich!
Nun freu dich schon!
Nicht mehr viel da, was ich erheben könnte.

Alles zugeschüttet von den Nachrichten dieser Welt.

Von den Sorgen.

Den Ängsten.

Von all dem Schrecklichen, das uns umgibt.

Ein dunkler Dornwald der Ängste, des Hasses, des Todes.


Maria, kennst du das nicht auch?

Du. Eine junge Frau. In einer Gesellschaft, in der Frauen nichts zu sagen hatten.

Du. Eine junge Frau. Schwanger und nicht verheiratet, welch Skandal!

Du. Eine junge Frau. Eine, von der man nicht viel erwartete, im dunklen Dornwald der männerzentrierten Gesellschaft.

Du kennst das. Das Untergebutterwerden. Die Menschen, vor allem Männer, die versuchen, dich lächerlich zu machen, wenn du für etwas eintrittst. Ach Maria, es hat sich nichts geändert in zweitausend Jahren.

Aber du, Maria, du beginnst zu singen im dunklen Dornenwald.

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singst du, die Machtlose, dieses Lied:

„Er stößt die Gewaltigen vom Thron

und erhebt die Niedrigen.“

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singst du, die Machtlose, gegen alles an, was die Welt dunkel macht.

Und durch dein Singen veränderst du die Welt.

„Die Hungrigen füllt er mit Gütern

und lässt die Reichen leer ausgehen.“

So singst du. So zeigst du der Welt, was Gottes Wille ist.

So zeigst du uns: Gott ist einer, der Macht nicht bewundert. Dem Reichtum nichts bedeutet. Der Armut nicht hinnimmt. 

Und ich? Und wir?

Wir leben in einer Zeit, in der soziale Sicherungen als „Belastung“ für die Gesellschaft gelten.

In der der militärisch Stärkere zu gewinnen scheint.

Wir leben in einer Zeit, in der selbst die Wahrheit verhandelbar erscheint.

Am Ende des Lebens deines Kindes, Maria, da wird einer sein mit dem Namen Pilatus. Und er wird ihm, dem Dornengekrönten, die Frage stellen, die heute so wichtig ist: „Was ist Wahrheit?“

Und dann werden es wieder Frauen sein, die ans Grab deines Kindes gehen und die Botschaft verbreiten werden: Das Grab ist leer!

Noch ahnst du nur, welch besonderer Mensch da in dir heranwächst. Dass du die Frau bist, die die Verbindung schafft zwischen Gott und Mensch. Du, eine unbedeutende Frau in der männlich geprägten Welt, wirst für einen Großteil der Welt die Zeit teilen. In „vorher“ und „nachher“. Du, eine junge Frau, von der niemand was erwartete: Du veränderst die Welt. Nicht nur durch das Kind, das du in dir trägst.

Sondern: Durch dein Lied im dunklen Dornenwald.

Du sagst uns:
Gott ist anders.
Und wenn Gott anders ist, kann die Welt nicht so bleiben.

Wenn Gott anders ist, kann der dunkle Dornwald nicht dunkel bleiben.

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singst du, die Machtlose, dieses Lied:

„Er stößt die Gewaltigen vom Thron

und erhebt die Niedrigen.

Die Hungrigen füllt er mit Gütern

und lässt die Reichen leer ausgehen.

Er gedenkt der Barmherzigkeit

und hilft seinem Diener Israel auf“


So schön, dieses Lied, Maria.

Doch Zweifel plagen mich: 
Er stößt die Gewaltigen vom Thron? 
Wo denn? Wann denn? 
Wo erhebt Gott die Niedrigen? 
Hungernde werden satt? 
Ist doch gar nicht wahr!

Seit zweitausend Jahren warten wir darauf.

Was tut Gott eigentlich? 
Däumchen drehen, oder was?


Doch du, Maria, singst unverdrossen dein Lied.

Du weißt auch nicht, wie das alles ausgeht.

Aber du vertraust auf Gott.

Du singst kein Triumphlied aus sicherer Position,

sondern ein Lied auf Kredit.

Du singst von einer Welt im Werden.

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singst du, die Machtlose, dein Lied von einer besseren Welt.

Ja, Maria, wir wissen heute auch nicht, wie’s weitergeht.

Wir wissen nicht, wie sich Kriege entwickeln

Wir wissen nicht, wie stabil unsere Demokratien bleiben.

Wir wissen noch nicht mal, was Weihnachten diesmal bringt.

Aber:

Glaube heißt nicht: Ich weiß, wie es ausgeht.

Glaube heißt: Ich singe trotzdem.

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singst du, die Machtlose, in den dunklen Dornenwald hinein

und veränderst die Welt.

Maria, du schaust hin: Wer leidet? Wer profitiert? Wer wird übersehen?

Das will ich auch tun.

So will ich sein.

Genau hinsehen, wo ich gebraucht werde.

Meinen Mund aufmachen, wo Menschen verächtlich gemacht werden.

Helfen, wo Hilfe gebraucht wird.

Die Hungrigen mit Gütern füllen.

Die Gewaltigen vom Thron stoßen.

Die Niedrigen erheben.

In jedem Fremden den Menschen sehen.


Das ist nicht einfach, Maria.

Aber ich nehme mir ein Beispiel an dir.

Trotzig, mutig, voller Hoffnung, singe ich dein Lied.


Ich will beitragen, dass diese Welt ein besserer Ort wird.

Ich will darauf vertrauen, dass Gott einen Plan für uns hat.

Und ich will davon singen:

Dass Gott unsere Welt verwandelt.

Dass Weihnachten wird auch in den dunkelsten Herzen.

Dass ein Stern uns leuchtet in der dunkelsten Nacht.

Dass der dunkle Dornenwald nicht dunkel bleibt.

Dass die Dornen Rosen tragen.

Amen.


Lied: Maria durch ein Dornwald ging

1. Maria durch ein Dornwald ging. Kyrie eleison! Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieben Jahrn kein Laub getragen! Jesus und Maria.

2. Was trug Maria unter ihrem Herzen? Kyrie eleison! Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen. Jesus und Maria.

3. Da haben die Dornen Rosen getragen; Kyrie eleison! Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen! Jesus und Maria.

7. Wer hat erlöst die Welt allein? Kyrieleison. Das hat getan das Christkindlein, das hat erlöst die Welt allein! Jesus und Maria.

Mit einigen Sätzen aus den "Gedanken zum Magnificat" von 1994

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