Predigt am 3. Advent: Tröstet, tröstet!

 

Predigt am 3. Sonntag im Advent 2012

Niederwerrn/Oberwerrn, 16.12.2012

Text: Jes 40, 1-11

 

Liebe Gemeinde!

Fassungslos hören wir die Nachrichten aus den USA. 20 Kinder in einer Grundschule erschossen, dazu die Erwachsenen und der Täter. So viel Morden, so viel Trauer. Wieder einmal fassungslos, möchte ich sagen. Denn es scheint niemals aufzuhören in unserer Welt: Der Strom der schlechten Nachrichten. Fukushima. Überschwemmungen. Erdbeben. Hunger. Kriege. Amokläufe. Und jedes Mal bleiben da Menschen zurück, die nicht nur für ein paar Tage fassungslos sind, so wie wir. Sondern die irgendwie mit dem Verlust fertig werden müssen. Die irgendwie weiterleben müssen mit ihrer Trauer, ihrer Angst, ihrem Zorn und oft auch mit dem Hass auf die Täter.

Manche werden daran zerbrechen. Andere werden einen Weg finden, damit zu leben. Aber für kaum jemanden geht dieses Leben so weiter wie immer. Die Trauer bleibt, tief drinnen.

Und es muss ja noch nicht mal so eine riesig große Katastrophe sein. Sie kennen das wohl auch im kleineren Rahmen. Eine Diagnose, die das Leben verändert. Ein Unfall, der einen geliebten Menschen plötzlich und unerwartet aus dem Leben reißt. Oder auch „nur“ ein Streit, der Menschen entzweit, die jahrelang in tiefer Freundschaft verbunden waren.

Das Leben geht nicht so weiter wie immer. Die Trauer bleibt, tief drinnen.

Unser heutiger Predigttext wurde in einer Zeit geschrieben, in der ein ganzes Volk von Trauer heimgesucht und niedergedrückt wurde. Im babylonischen Exil. Jahrelang hatten die Babylonier Jerusalem belagert und dann letztendlich doch eingenommen. Die ganze Stadt zerstört. Viele sind vermutlich gestorben in diesem Krieg, der Rest, zumindest die Oberschicht, wurde verschleppt ins ferne Babylon. Und wer dann noch übrig war, der floh nach Ägypten, zu der anderen Großmacht der damaligen Zeit. Israel – nahezu menschenleer. Das Volk – zerteilt zwischen den beiden Großmächten Babylon und Ägypten. Und die quälende Frage: Hat unser Gott uns im Stich gelassen? Gilt sein Bund überhaupt noch, hier im fernen Land? Oder waren die Götter der Babylonier einfach stärker und wir müssen sie jetzt auch anbeten?

„An den Wassern von Babel saßen wir und weinten“, so beginnt der 137. Psalm, der diese Situation beschreibt. Auch, wenn es den meisten Israeliten doch leidlich gut ging, sie ihr Leben leben durften in Babel – die Trauer um ihre Heimat, sie blieb. Tief drinnen.

Und nun kommt auf einmal Jesaja daher. Der, der jahrelang den Untergang gepredigt hatte. Der, der ihnen immer gesagt hatte: Israel wird untergehen, wenn ihr euch nicht zu Gott bekehrt. Dieser Jesaja schlägt auf einmal ganz andere Töne an. So sehr andere, dass die Forschung oft vermutet, hier rede ein ganz anderer. Deuterojesaja, das heißt: Der zweite Jesaja. Mit diesen kraftvollen Worten bringt er den Trauernden eine neue Botschaft von Gott. Mit diesen Worten in Kapitel 40 beginnt der neue, der zweite Jesaja:

Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.

6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

 

Die Trauer bleibt, tief drin, so hatte ich gesagt. Und auch Jesaja scheint zunächst skeptisch. Wozu soll ich predigen? Das hat doch eh keinen Sinn. Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt. Das Volk vergeht, alles ist vorbei. Doch dann erinnert er sich: „aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“

Fast scheint mir, als wäre dieser kleine Satz der Wendepunkt für Jesaja gewesen. Auf einmal kann er den Trost predigen, den sein Volk so dringend braucht. Auf einmal kann er rufen, wie Gott es ihm aufgetragen hat: Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist.

Die Trauer bleibt, tief drinnen, habe ich gesagt. Und doch – dieser Jesaja redet auf einmal von Trost. Von Hoffnung, Von einem, der kommt.

Das babylonische Exil war irgendwann vorbei. Nach 58 Jahren, um genau zu sein. Hört sich gar nicht so lang an – aber überlegen Sie mal, wie unsere Welt vor 58 Jahren aussah. 1954. Also, ich wäre im Exil geboren und hätte keine Ahnung, wie meine Heimat aussieht. Die Aussiedler aus Osteuropa, die können es vielleicht nachvollziehen, was es heißt, in eine Heimat zurückzukehren, die gar nicht Heimat ist. Erst einmal dort alles neu aufzubauen. Von vorn anzufangen. Wieder ein Volk werden.

Tröstet, tröstet mein Volk! So ruft Jesaja im Namen Gottes. Das Exil war eines Tages vorbei, doch die alte Glanzzeit Israels lag weit hinter ihnen. Die Hoffnung wuchs, auf den, der kommen sollte. Den Messias. Den Gesalbten Gottes, einen Nachkommen des legendären Königs David. Dann, wenn er kommt, der Messias, dann wird wieder richtige Freude sein.

Als Christen sind wir einen Schritt weiter. Für uns ist der Messias tatsächlich in die Welt gekommen – aber er hat sie anders verändert, als die Menschen das erwartet hätten. Nein, er ist eben nicht groß und gewaltig gekommen. Sonder klein, als ein Kind im Stall. Von unten verändert er die Welt, kaum wahrnehmbar für uns. Nur, wenn wir uns darauf einlassen. Er hält auch nicht die Mörder auf, die Kriegstreiber, die Naturgewalten. Er ist anders. Er ist auf der Seite derer, die leiden, hat das Leid selbst erlebt. Ist selber in den Tod gegangen, von allen Freunden verlassen. So will er die Welt verändern, nicht von oben herab, sondern durch uns. Denn wir selbst sind es, die er verändern will. Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Niederwerrn freundlich! Ja, wir sind gemeint. Vielleicht bleibt ein wenig von der alten Trauer. Vielleicht nehmen wir sie sogar mit in Gottes Reich. Doch Gott verspricht: Er will uns alle Tränen abwischen. Bei ihm wird die Freude sein, auf die wir so sehr hoffen. Tochter Zion, freue dich!

Amen.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.