Predigt beim Mittelaltergottesdienst: Gemeinsam unterwegs zu Gott

„Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist“. So erklang die schola cantorum. Um den rechten Weg möcht ich ihn lieber bitten, hab ich ihn doch verloren. Welcher Weg mag mich wohl zu Gott führen? Links? Rechts? Geradeaus? Ah, Meister Abb, ihr auch hier? Sagt, wisset Ihr den Weg zu Gott?

Prediger Kuschel, welch glückliche Schickung! Ihr hier! Ich bedauere zutiefst, doch habe ich meinen Weg verloren. Ihr wisset auch nicht wohin?

Den Weg zu Gott? Vorhin deuchte mir, ich wüsste ihn, doch nun ...

Schaut hier, ein Kirchturm! Gott schickt uns ein Zeichen. Das muss der Weg sein, hin zu Gott. (will los)

Haltet ein, haltet ein! Eine Kirche ist schön, doch sind es nur Mauern. Finden wir Gott nicht viel mehr hier, in den Auen vor den Mauern der Stadt? Hier, wo die Menschen sind, wo sie Handel treiben, feiern, sich begegnen? Bei den Händlern, bei den einfachen Menschen, bei den Rittern, die sich um ein ehrbares Leben bemühen?

Ihr kommet nicht zu Gott, indem ihr euch einfach unters Volk begebt, Prediger Kuschel. Das reicht nicht aus.

Was meint ihr? Was ist der Weg zu Gott? Der Weg zur ewigen Seligkeit? Meister Abb, wisset ihr doch den Weg?

Gute Taten sind’s, Prediger Kuschel! Den Armen helfen. Die Hungernden speisen. Die Flüchtenden beherbergen. Die Trauernden trösten. All dies, und noch vieles mehr. Gott wird es uns lohnen im Himmel.

Aber ach, Meister Abb! Es ist doch so viel Leid auf der Welt. Niemals können wir diesem Willen Gottes genügen. Wir können doch nicht die Schwerter zu Pflugscharen machen, wie wir es beim Propheten Jesaja lasen. Wir können nicht Streit zwischen den Völkern schlichten. Wir können nicht höchstselbst alle Armen erretten, alle Hungernden speisen, alle Flüchtenden beherbergen. Wird Gott uns nicht eher strafen für alles das, was wir nicht getan haben?

Doch doch, das müssen wir! Wir sollen uns bemühen, so viel Gutes zu tun, wie wir nur können! Und doch wird Gottes Strafe über uns kommen für all das, was wir unterlassen haben. Denn unser Tun wird niemals genügen.

Ich kann und mag das nicht akzeptieren. Gott ist die Liebe, so schreibet Johannes in seinem ersten Briefe. Warum will er uns strafen? Warum leben wir in solcher Angst vor Gott, vor seinem Gericht?

Gott ist gerecht, Prediger Kuschel! Einem Faulen, der nichts tut, mag er das Himmelreich nicht einfach so zum Geschenke machen.

Denket ihr wirklich so, Meister Abb? Unser Doctor Martinus Luther meinet es anders. Er schreibet, dass wir alle erlöset sind, allein durch den Glauben an Christus, unseren Heiland. Gottes Liebe ist ein Geschenk, ohne unser Zutun und Verdienst. Durch Christus haben wir das ewige Leben. Nicht durch uns selbst. Seine Liebe annehmen: Das ist der wahre Weg zu Gott.

Aber Prediger Kuschel! Dann könnten wir ja saufen und rauben und morden, wie wir wollten auf dieser Welt, am Ende kämen wir doch alle in den Himmel! Das mag ich nicht glauben. Nein, die guten Werke, die braucht es schon.

Was meinet Ihr, Meister Abb? Wenn ich mir wahrlich gewiss bin, dass Gott mich über alles liebt – wird das nicht mein Leben verändern? Wenn ich gewiss bin, dass Christus mich schon errettet hat, noch bevor ich geboren ward: Sollte ich nicht mein ganzes Leben diesem Gotte und seiner Liebe hingeben? Als geliebtes Kind Gottes werde ich doch nicht rauben und morden, saufen vielleicht das ein oder andere Mal. Aber die guten Werke, die werde ich auch tun. Weil ich mich von Gott geliebt weiß und seine Liebe weitergeben will.

Oh Prediger Kuschel, ich fürchte, über dieser Frage werden unsere Kirchen jahrhundertelang uneins sein. Doch stellt euch einmal vor, wir stehen eines Tages gemeinsam am Himmelstore und blicken zurück auf unser beider Leben. Was wird bleiben von uns beiden?

Eine gute Frage, Meister Abb. Gute Taten, so hoffe ich. Bei uns beiden. Ein fröhliches, befreites Leben, so hoffe ich, weil wir beide auf Gottes Liebe vertrauen.

So sind wir eigentlich doch gemeinsam unterwegs zu Gott, Prediger Kuschel. Wir beide bemühen uns, ein gottgefälliges Leben zu führen. So mag schon in dieser schrecklichen und unbarmherzigen Welt ein Stück von Gottes Reich aufscheinen. Wie es der Prophet Jesaja schreibt:  „Auf ihr Nachkommen Jakobs, lasst uns schon jetzt im Licht des Herrn leben.“

Darauf kann ich nur sagen: Amen, Bruder.