Und immer wird der Kaffee kalt

Morgengedanken bei der 4. Akademietagung des Netzwerks Citykirchenprojekte: "Verstörte Stadt"
Maxhaus Düsseldorf, 2.11.2018

Und immer wird der Kaffee kalt. Jedes Mal bei der Pfarrkonferenz und praktisch bei allen anderen kirchlichen Konferenzen und Besprechungen. Immer der gleiche Ablauf: Man trifft sich erst mal in lockerer Runde, holt sich ne Tasse Kaffee oder auch schon die zweite, und dann geht‘s auf einmal los. Ein Kollege, eine Kollegin beginnt mit der sogenannten Andacht. Und weil ja ganz viele andere Studierte da rumsitzen, muss die auch wirklich besonders ausgefeilt sein, mindestens zehn Minuten lang, mit formvollendetem Gebet und am besten mit Lutherlied. OK, letzteres gilt vermutlich nur für die Evangelischen. 

Und währenddessen sitze ich da und starre auf die Kaffeetasse vor mir auf dem Tisch. Bedaure, dass der Kaffee jetzt leider kalt wird. Aber ich traue mich dann doch nicht, davon zu trinken, kommt mir irgendwie blasphemisch vor. Die Kollegin da vorne hat sich doch so viel Arbeit gemacht, und außerdem sind das ja ganz gewichtige Gedanken, da kann ich jetzt nicht einfach Kaffee schlürfen. (Also, hier bei mir jetzt bitte schon.)

Ja, Glauben stört. Manchmal so profan wie hier mit dem Kaffee. Wie ist das denn bei uns? In unseren Citykirchenprojekten, unseren Gemeinden? Gibt es da vielleicht auch solche Situationen: Menschen kommen sozusagen mit einer heißen Tasse Kaffee zu uns. Sie wollen was. Sie sind nicht kalt und gleichgültig. Aber wir müssen erst mal unsere üblichen Abläufe haben, die vielleicht gar nicht zu dem passen, was diese Menschen wollen. Und, ganz ehrlich, solche festen Abläufe und  Traditionen haben wir doch mittlerweile auch in unseren Citykirchen entwickelt, die meisten gibt‘s ja auch schon ein paar Jährchen. 

Glauben stört. Glaubenspraxis kann behindernd sein, wenn wir sie nicht ständig darauf abklopfen, ob sie noch zu den Menschen passt, die bei uns sind.

Übrigens ist mir von allen Pfarrkonferenzen, die ich bisher erlebt habe, nur eine einzige Andacht in Erinnerung geblieben, und die ist jetzt 18 Jahre her. Damals bestand unser Pfarrkapitel zum größten Teil aus gediegenen alten Herren im Anzug kurz vor dem Ruhestand. Und der junge Kollege aus der Nachbargemeinde spielte in aller Seelenruhe ein Lied von den Toten Hosen. Den älteren Herren wurde nicht nur der Kaffee kalt.

Glauben stört. Glauben kann uns auf überraschend neue Bahnen führen, wo wir das gar nicht wollen. Oder durch eingefahrene Bahnen Neues verhindern. Ich glaube: Gott will gerne das Neue. Das andere. Das Überraschende. Gott will uns stören. Uns aufrütteln. Uns in Bewegung bringen.

Ja, aber warum machen wir nicht einfach öfter was anderes? Warum behalten wir am Anfang der Konferenz die Kaffeetassen nicht in der Hand und singen einfach ein frisches Lied? Lasst uns heute mit was einfachem beginnen, was vermutlich die meisten kennen. Lasst uns aufstehen und singen: Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn. Und wer keine Kaffeetasse in der Hand hat, darf sich auch trauen, die Bewegungen mitzumachen.