Die Kirche und das freie Internet - wirklich frei?
Der „Weltherrscher“, so nennt er sich, hat sich mit der Kirche und dem Internet beschäftigt. Und ich hatte darauf geantwortet, aber, lieber Weltherrscher, ich gebe zu, dass ich das Anliegen des Eintrags ein wenig missverstanden habe. Es geht also mehr um die Frage: Setzt sich die Kirche für die Erhaltung eines freien Internets ein? Darum nun ein zweiter Anlauf. Ich möchte dazu den ursprünglichen Artikel nochmal weitgehend von oben nach unten durchgehen.
Also erst einmal: Nein, wir schlafen nicht. Gut, ein paar Kollegen mögen ein wenig, hm, verschroben daherkommen – das gibt's in allen Berufsgruppen. Aber die meisten, die ich kenne, sind in den verschiedensten Bereichen hoch engagiert. Über eine 37,5 Stunden-Woche können wir nur lachen, das ist eher so ne halbe Stelle...
Dass wir das Internet nutzen, auch ausgiebig nutzen, das habe ich in meinem ersten Post schon deutlich gemacht. Das brauchen wir nicht zu wiederholen. Und dass wir in einer Zeit und in einem Teil der Erde leben, der uns unglaublich viel Freiheit ermöglicht – darin stimme ich dir voll und ganz zu.
Die Frage ist erst einmal: Wie wichtig ist das Internet, um diese Freiheit zu ermöglichen? Ich denke: Es ist ein wichtiger Bestandteil, weil in der Tat jede und jeder seine Meinung kundtun kann. Aber hier muss ich dann doch gewaltig einschränken: Das ist nur die Theorie. In der Praxis bedeutet eine zu starke Betonung des Internets, dass wieder ein großer Teil der Bevölkerung ausgeschlossen wird. Meine Oma mit 96 geht sicher noch zur Wahl, aber sie wird sich an keiner Internet-Diskussion beteiligen. Viele Familien gerade mit kleineren Einkommen haben entweder gar keinen Computer – immer noch – oder aber nur einen beschränkten Internet-Zugang.
Theoretisch kann das Internet in der Tat diese Gleichheit ermöglichen. In der Praxis bedeutet es heute eine Gleichheit lediglich für eine Informations-Elite. Und: Je mehr man sich im Internet engagiert, desto „gleicher“ wird man, sprich: Desto mehr Einfluss hat man. Ein Internet für alle, das alle gleich macht, ist eine Utopie, die noch weit in der Zukunft liegt.
„Freiheit ist keine Glosse, sondern der einzige gehbare Weg“. Da stimme ich voll zu, und gerade wir Evangelischen betonen sehr stark die Freiheit. Für uns gibt es keine Kirchenfürsten, die uns sagen, was wir zu glauben haben. Wir dürfen und müssen selber herausfinden, was richtig ist, und durchaus auch mal die „Obrigkeit“ anzweifeln, so wie Luther das getan hat.
Wirkliche Freiheit gibt es aber eigentlich nur für die, die erst einmal die Grundbedürfnisse gedeckt haben. Essen und Trinken, eine Wohnung, Arbeit und Einkommen. Nur, wer in halbwegs gesicherten Verhältnissen lebt, wird überhaupt die Zeit finden, seine Stimme zu erheben. „Eine gleichberechtigte Stimme in den Weiten der Meinungen ist allemal jegliche Anstrengung wert.“ Ja, in der Tat. Aber diese Anstrengung findet auf einer noch viel niedrigeren Stufe statt. Es ist noch ein weiter Weg bis dahin, und in diesem Bereich engagieren sich die Kirchen schon seit langem, egal, ob hier in Deutschland oder weltweit. (Brot für die Welt, Caritas,...) Dieser Einsatz zielt schon lange nicht mehr darauf ab, die aktue Not zu lindern (außer natürlich bei Katastrophenhilfe), sondern langfristige Perspektiven für ein selbstbestimmtes, damit freieres Leben zu entwickeln. Das Internet ist dabei bis jetzt mehr ein Kommunikationsmittel für die Helfenden als für die, die wirklich in Not sind. Das könnte ein nächster Schritt sein.
„Veränderungen werden nur dann funktionieren, wenn sie von der breiten Masse, also uns Normalos, verlangt werden.“ - schöner Satz, aber ich sehe nur wenige Punkte, an denen das Internet tatsächlich zur Meinungsbildung beigetragen hat. Vielleicht jetzt bei der Online-Petition für eine Transaktionssteuer, für die ich übrigens auch geworben habe und die von den Kirchen unterstützt wird. In Schweinfurt gibt es heute abend eine Veranstaltung zur Einführung eines Sozialpasses, der vom Stadtrat abgelehnt wird – auch so kann man ohne Internet Dinge fordern.
Ja, das Internet hat ein großes Potential. Ein Potential, Menschen zu vernetzen, ein breites Spektrum an Meinungen zu ermöglichen, sie gleichberechtigt zusammenzubringen, Freiheit zu ermöglichen. Auf dem Weg dahin gibt es zur Zeit Störungen, die viel gravierender sind als dieses „Zugangserschwerungsgesetz“. Es sind Störungen der Art, dass nur eine kleine Elite überhaupt das Netz nutzen kann. Solange es nicht wirklich umfassend für alle zur Verfügung steht, werde ich meine Kraft dafür einsetzen, dass die Menschen erst einmal eine Lebensgrundlage bekommen.
Trotzdem sehe ich die Diskussion um „Zensursula“ auch mit großer Sorge. Zwei Grundrechte werden hier gegeneinander ausgespielt. Da kann man in der Tat unterschiedlicher Meinung sein. Ich denke, dass die Stopschilder der falsche Weg sind. Andere stellen das Wohl der Kinder in den Vordergrund, so wie die gemeinsame Stellungnahme der ECPAT-Organisationen, an der auch viele bedeutende kirchliche „Abteilungen“ beteiligt sind, nicht aber beispielsweise die EKD oder die katholische Bischofskonferenz. Auch auf evangelisch.de habe ich nur einen Artikel über die Piratenpartei gefunden, in dem das Thema erwähnt wird.
Und jetzt mal aufs Internet bezogen: Gesetzt den Fall, alle Menschen auf der Welt wären weitgehend gleich gut vernetzt und könnten alle ihre Stimme in gleicher Weise erheben: Ich bin mir nicht so sicher, ob sie wirklich gegen das „Zensursula“-Gesetz stimmen würden. Bei jeder weiteren Einschränkung aber, für die die Technik ja dann schon vorhanden ist, wird es schwierig, sie noch zu stoppen. Wehret den Anfängen? Oder schützt die Kinder? Ich glaube, an dieser Stelle gibt es keine klare, wirklich eindeutige Antwort. Deshalb halte ich es für gut, dass die Kirchen nicht als „große“ Institutionen Stellung bezogen haben. Ich als kleiner Citypfarrer sehr wohl, und zwar anders als die ECPAT. Gemeinsam werden wir aber sehr genau beobachten, ob sich dieses Gesetz (wenn es denn je angewendet wird) zu einem Internet-Zensurgesetz ausweiten wird.
Comments
"..Es sind Störungen der Art,
Internet, Wissenschaft und Informationselite
Antwort auf "..Es sind Störungen der Art, von weltherrscher (nicht überprüft)
Lieber Weltherrscher,
in deinem Kommentar lese ich vor allem zwei Anfragen, die ich gerne weitgehend getrennt voneinander beantworten möchte, auch wenn sie zusammengehören:
Zur ersten Frage: Abgesehen von den evangelikalen Strömungen, Biblizismus usw., gibt es heute kaum noch Christen, die wirklich glauben, dass die Erde in sieben Tagen erschaffen wurde. Ich denke, dass diese wörtliche Bibeltreue auch am eigentlichen Anliegen des Bibeltextes vorbeigeht. Dazu hatte ich vor einiger Zeit einen Beitrag geschrieben, das möchte ich jetzt nicht alles hier wiederholen. Ich stimme dir voll zu: Ein Glaubensbekenntnis ist ja keine "Forschung", sondern eine philosophische Betrachtung über Sinn und Zweck des Lebens. Zu dieser Frage nach den Perspektiven des Lebens kann die Wissenschaft weiterhin kaum Antworten liefern, während sie unbestritten die äußeren Umstände des Lebens - zumindest in unserem Teil der Welt - dramatisch verbessert hat und hier ihre volle Berechtigung hat. Fragen nach dem Sinn des Lebens kann die Wissenschaft aber kaum beantworten. Ich kann mir den Hinweis nicht verkneifen, dass Douglas Adams mit seiner Antwort "42" das perfekt auf den Punkt gebracht hat. :-)
Also kurz: Wissenschaft ist wichtig und richtig, widerspricht nur auf den ersten Blick dem Glauben, bietet aber keine Antworten auf die essentiellen Lebensfragen.
Zur zweiten Frage: Selbstverständlich ist das Internet eine neue Dimension der Kultur, der Kommunikation etc. Ich bleibe aber dabei, dass es weiterhin nur das Medium einer Informationselite ist. Ich betrachte mal kurz und halbwegs anonym die Leute, mit denen ich privat öfter zu tun habe, alles Familien so zwischen 30 und 40 mit Kindern. Eine hat analoges Internet und ist nicht per Mail zu erreichen. Mein Angebot, einen DSL-Anschluss einzurichten, steht seit eineinhalb Jahren. Eine andere Familie ist per Mail zu erreichen, aber man sollte besser anrufen, dass man eine Mail geschickt hat. Eine dritte Familie hat selbstverständlich DSL und nutzt auch VoIP fürs Telefon, Kommunikation über E-Mail funktioniert verlässlich. Bei einer weiteren Familie weiß ich nicht, ob sie überhaupt einen Internetanschluss haben. Von denen hab ich erst seit ein paar Monaten überhaupt eine Handynummer. Das sind jetzt wohlgemerkt Menschen aus dem Lebensalter, die eigentlich viel mit Internet in Berührung kommen sollten. Keine Senioren. Auch keine Menschen aus Entwicklungsländern. Selbst wenn in Deutschland mittlerweile, was? 80%? einen Internetanschluss besitzen, heißt das noch lange nicht, dass sie ihn intensiv nutzen oder um seine Möglichkeiten überhaupt wissen. Da sind wir von Gleichheit im Internet noch meilenweit entfernt. Deshalb bleibe ich dabei: Internet ist im Moment das Kommunikationsmittel der Informationselite. Die mag wesentlich größer geworden sein als vor 20 Jahren, aber es ist immer noch eine Elite.
Kirche ist aber für alle Menschen da. Wie sie sich vernetzen, ist zunächst einmal egal. Kirche setzt sich ein für Bildung. Hier bei uns gibt's Sprachkurse für Aussiedler, Hausaufgabenbetreuung und wasweißichnochalles. In den Entwicklungsländern setzt Brot für die Welt ebenso wie die Caritas auf Bildung, damit die Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Den Menschen einen besseren Internetanschluss zu ermöglichen, ist dabei nur ein kleiner Schritt von vielen. Aber für die, die ins Internet kommen, sind wir schon in vielfältiger Weise präsent.