Katastrophenjournalismus

Es ist furchtbar und erschütternd, was da gestern geschehen ist. Ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord ist abgestürzt. Und für alle, die selbst Kinder haben, ist die Nachricht von der Schülergruppe, die dabei den Tod fand, noch einmal beklemmender.

Natürlich begann schon Minuten, ach was, Sekunden nach der ersten Nachricht über einen Absturz die übliche Katastrophenberichterstattung. Sondersendungen im Fernsehen, die Zeitungen richten Liveticker ein, Reporter drängeln sich im Düsseldorfer Flughafen, am so schwer getroffenen Joseph-König-Gymnasium in Haltern, in Barcelona, vermutlich auch in der Nähe der Unfallstelle, so schwer zugänglich sie auch sein mag.

Die tatsächlich vorhandenen Fakten: Ein Flugzeug ist abgestürzt, alle Insassen sind vermutlich tot, die Unglücksstelle ist schwer zugänglich, die Unglücksursache wird nicht so leicht und vor allem nicht so schnell zu eruieren sein.

Ist es wirklich Mit-Leid und Anteilnahme, wenn wir alle wie gebannt auf Fernsehschirme und Newsticker starren? Oder doch nur Sensationslust, wie auf der Autobahn, wenn man an einem Unfall vorbeifährt? Das letztlich doch wohlige Gefühl „mich hat's nicht getroffen“? Vermutlich eine Mischung aus allem. Aber weil wir nun mal nach mehr Informationen gieren, versuchen alle unsere Medien diese Gier zu stillen. Da gibt es Live-Schaltungen nach Paris, als hätte dort irgend jemand nähere Informationen. Bestimmte Zeitungen zeigen geradezu genüsslich die trauernden Angehörigen, was schert uns der Pressekodex. Das Gymnasium in Haltern wird lange nicht zur Ruhe kommen, da bin ich mir sicher, dabei hätten sie genau diese Ruhe jetzt dringend nötig.

Heute früh habe ich ein Foto gesehen von einem Pulk Übertragungswagen vor dem Düsseldorfer Flughafen. Was machen die da? Die tun das für uns, weil wir es wollen. Sie überfallen den Ort des Unglücks, pressen jede noch so sinnlose Nebeninformation heraus, um irgendwie ihre Sendezeit oder ihren Text zu füllen, und anschließend ziehen sie weiter zur nächsten Katastrophe. Katastrophenjournalismus, der selbst katastrophale Wirkung hat. Und wir sitzen im Wohnzimmer und schauen uns das an, twittern vielleicht auch mal über unsere eigene „Betroffenheit“, wie so viele in diesen Stunden. Gibt ein schönes Gefühl der Verbundenheit.

Gut, dass es auch Medien gibt, die versuchen, sensibel in ihrer Berichterstattung zu sein. Unsere Lokalzeitung beispielsweise zeigte heute auf der Titelseite kein Foto, sondern nur 150 Kreuze und die Überschrift „Tiefe Trauer um 150 Tote“. Auch die ARD filmte keine trauernden Angehörigen, bemühte sich dann aber doch, im Anschluss an die Tagesschau einen 45minütigen Brennpunkt mit irgendwelchen Informationen zu füllen, die aber halt einfach gar nicht da waren. Da sollte ein Flugkapitän über mögliche Absturzursachen spekulieren, was er nicht tat. Da wurde aus Haltern berichtet und vom Düsseldorfer Flughafen. Nochmal: Wäre es nicht besser, diese Menschen nun in Ruhe trauern zu lassen?

Eines fand ich dann an diesem Brennpunkt doch gut: Er zeigte nämlich auch, welche Arbeit da im Stillen und Verborgenen geschieht. Ohne es wirklich zu zeigen. Ein Vertreter der evangelischen Kirche beschrieb – in relativ trockenen, fast emotionslosen Worten übrigens – die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen, die nun dort als Notfallseelsorger im Einsatz sind. Vor ihnen – und allen, die bei der Betreuung der Betroffenen im Einsatz sind – habe ich größten Respekt. Und bete nicht nur für die Angehörigen, sondern für alle, die nun durch ihre Arbeit mit diesem schrecklichen Unglück und dem großen Leid in Berührung kommen.

Für das Problem der Katastrophenberichterstattung habe ich übrigens keine Lösung. Nur offene Fragen. Und die Hoffnung, dass den Journalisten Mitmenschlichkeit und Verantwortung vor Quote geht.