Die Schuldscheine sind beglichen.

Predigt am Karfreitag

Gochsheim, 14.4.2006; Schweinfurt-Auferstehung, 22.4.2011
Text: Hebr 9, 15. 26b-28

15 Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
26 ...Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Liebe Gemeinde!

Ich habe hier einen Nachdruck einer Fünf-Pfund-Note aus Großbritannien. Ich hätte auch jeden anderen Geldschein nehmen können, auch 10 Euro. Aber auf den Pfund-Noten steht ein Text, der deutlich macht, worum es geht:

I promise to pay the bearer on demand the amount of 5 pounds.
Ich verspreche, dem Inhaber auf Verlangen den Betrag von 5 Pfund auszubezahlen.

Mag sein, dass ein Wirschaftswissenschaftler jetzt protestieren würde, aber dieser Gedanke hat mich schon auf meiner ersten England-Reise fasziniert, als ich den Satz das erste Mal gelesen habe: Ein Geldschein ist nichts anderes als ein Schuldschein des Staates. Keine Ahnung, was passieren würde, wenn ich zum Unterzeichner dieses Schuldscheins, also zum Finanzminister, hingehen würde und um Auszahlung bitten würde. In jedem Fall: Der Staat hat Schulden bei mir. So viel Schulden, wie ich Geld in meinem Geldbeutel mit mir herumtrage. 

Nun stellen Sie sich vor: Alle Menschen auf der ganzen Welt kämen darin überein, ihr gesamtes Geld zu verbrennen. Allen Schulden ein Ende zu machen. Niemand, nicht einmal der Staat, soll noch bei jemand anders in der Schuld stehen. 

Ja, natürlich: Es wäre ein großes Chaos. Vermutlich. Wer würde schon noch arbeiten gehen, ohne den Anreiz, dafür auch einen Lohn zu bekommen? Ein paar Enthusiasten, ja, aber die Mehrzahl der Menschen?

Unsere Wirtschaft könnte ohne Geld gar nicht existieren. Und trotzdem: Wäre es nicht für viele Menschen, sogar den Großteil der Menschheit, viel besser, wenn es plötzlich kein Geld mehr gäbe? Wenn auf einmal die drückenden Schulden weg wären, die auch bei uns in Deutschland auf immer mehr Haushalten lasten? Ganze Länder könnten aufatmen, wenn plötzlich ihre Schulden weg wären, deren Tilgung einen so hohen Anteil des Staatshaushaltes ausmachen, dass für das eigene Volk, für Straßenbau, Schulen, Infrastruktur, medizinische Versorgung nichts mehr übrigbleibt. Es gäbe keine Entlassungen mehr bei Betrieben, nur um den Gewinn von 3 auf 4 Milliarden im Jahr zu steigern. Die Menschen stünden wieder im Mittelpunkt, nicht das Geld. 

Was würde geschehen, wenn alle Menschen ihr gesamtes Geld verbrennen würden, Abschied nehmen würden von allen Schulden?

Es wäre eine Befreiung für viele – aber natürlich würde es so nicht funktionieren. Die Befreiung wäre nicht von langer Dauer, denn die gesamte Versorgung mit lebenswichtigen Dingen würde sehr schnell zusammenbrechen.
Neben dem Geld gibt es auch andere Schuldscheine. Solche, die nicht aus Papier sind – die eher aus Gefühlen bestehen. Ich stehe bei einem anderen in der Schuld. Ich habe Schuld auf mich geladen: Dinge, die uns belasten. Dinge, die schief gelaufen sind in meinem Leben.

Da gibt es Menschen, die nicht mehr miteinander reden. Im Streit sind sie auseinander gegangen, seitdem gehen sie sich aus dem Weg. Der andere hat Schuld, das ist doch klar.

Da sind Menschen, die sich einmal geliebt haben. Jetzt streiten sie jeden Tag miteinander, schon wegen Nichtigkeiten. Die Leidtragenden sind die Kinder. Wer hat Schuld? Einer von beiden? Sie beide? Die Menschen um sie herum, die sie mit ihren Problemen allein gelassen haben?

Da sind Menschen, die sich unnütz vorkommen. Auch die 83. Bewerbung um einen Ausbildungsplatz, einen Job wurde abgelehnt. Wer hat Schuld? Sie selbst, weil sie nicht gut genug waren in ihren Zeugnissen? Die Arbeitgeber, die nicht mehr Leute einstellen wollen und es auch nicht können? Unsere ganze Gesellschaft, die so eine Situation einfach hinnimmt?

Da gibt es Menschen, die verhungern. Die Angaben schwanken zwischen 10000 und 40000 Kindern am Tag. Das ist mindestens alle 9 Sekunden eines. Wer trägt da die Schuld? Wir, die wir oft bedenkenlos konsumieren, was wir bekommen? Irgendwelche Wirtschaftsbosse? Die Regierungen der Länder?

Da bin ich selbst. Welche Schuld habe ich auf mich geladen? Wie oft bin ich einem anderen Menschen nicht liebevoll genug begegnet? Wie oft habe ich nur meinen eigenen Vorteil gesucht? Wie oft habe ich hinterm Rücken über einen anderen geredet? Wie oft habe ich die Wahrheit nur ein klitzekleines bisschen zu meinen Gunsten verdreht?
Jeder Mensch, ob er es will oder nicht, lädt Schuld auf sich. Unser Schuldschein-Portemonnaie ist gut gefüllt. Andere haben Fehler gemacht und uns verletzt. Wir haben Fehler gemacht, andere verletzt.

Manchen Menschen können wir kaum noch in die Augen schauen.

Wie wäre es, wenn alle Menschen auf der ganzen Welt auf einmal beschließen würden: Diese Schuld, alle Schuld der Welt, ist ab heute nicht mehr da? Unsere Schuldscheine werden verbrannt. Sie gelten nicht mehr.

Es wäre eine große Befreiung – aber auch eine Aufgabe. Denn noch immer sterben jeden Tag Menschen. Noch immer sind Menschen ohne Arbeit oder ohne Ausbildungsplatz. 

So einfach ist das nicht mit dem Vergeben von Schuld. Das wird nicht ohne Konsequenzen abgehen für unser eigenes Leben.

Nun aber ist Jesus ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.

Jesus tut genau das, wonach wir Menschen uns sehnen: Er hebt die Schuldscheine auf. Er verbrennt sie. Vor Gott sind sie nicht mehr gültig. Vor Gott können wir keine Schulden mehr haben. Sie sind alle beglichen, ein für alle mal.

Wir können die Vergebung unserer Schuld annehmen. Auch wenn wir wissen: Wir werden wieder Schuld auf uns laden. Auch der Schreiber unseres Predigttextes weiß davon. Und er schreibt: Jesus wird unsere Welt heil machen. Noch ist es nicht so weit. Aber eines Tages wird er wieder kommen. Dann wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil. Er wird heilen, was zerbrochen ist. Heil machen, was zerstört ist. Uns von unserer Schuld befreien. Die Schuldscheine endgültig verbrennen.

27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
 

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