Darwin, die blöde Kuh und die Schöpfung

„Du blöde Kuh!“ - „Ochse!“ - und noch so einige andere Wörter, die man normalerweise nicht einmal aufschreibt, werfen sich unsere Kinder an den Kopf, wenn sie streiten. „Mein Schatz“, „Engelein“, „Bärchen“ und viele andere Bezeichnung geben sich Menschen, die sich mögen.
Nie ist jemand auch nur auf die Idee gekommen, diese Bezeichnungen wörtlich zu nehmen. Mein Schatz ist keine Kiste voller Gold, die irgendwo im Garten hinterm Haus vergraben ist. Es ist ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber einer, der für mich besonders wertvoll ist. Einer, den ich immer wieder suche. Einer, der mich erfreut und um den meine Gedanken kreisen. Die blöde Kuh macht normalerweise auch nicht „Muh“ und gibt keine Milch. Aber einen Menschen mit einer Kuh zu vergleichen, die für menschliche Augen immer einen irgendwie etwas blöden Gesichtsausdruck draufhat, das ist beleidigend.

Sind diese Aussagen dann alle falsch? Niemand würde je auf diese Idee kommen. Natürlich sind sie wahr. Na ja, bei den Beschimpfungen würde man vielleicht gerne im Nachhinein manches wieder zurücknehmen. Aber in dem Moment ist es genau so gemeint. Auf einer anderen Ebene. Eben nicht: Du bist eine Kuh, sondern du kommst mir vor wie eine Kuh. Eben nicht: Du bist ein Schatz wie im Märchen, sondern für mich bist du so viel wert wie ein Schatz.
Immer schon haben Menschen das, was sie sagen wollten, in Bilder gepackt. Auch Jesus hat das getan. Seine Gleichnisse sind berühmt. Keiner käme auf die Idee, dass Gott tatsächlich ein Vater mit zwei Söhnen ist, von denen einer die Hälfte des Geldes verprasst hat. Keiner käme auf die Idee, dass Gott ein Weingärtner ist. Alles nur Beschreibungen, Hinweise, Deutungen. Aber, auf dieser übergeordneten Ebene, trotzdem „wahr“.

Um einige Texte der Bibel ist allerdings vor 150 Jahren ein großer Streit entbrannt, der bis heute nicht beendet ist. Ein Streit, der auch im Religionsunterricht, im Konfirmandenunterricht, in den Gesprächen auf der Straße immer wieder eine Rolle spielt. Vor 150 Jahren erschien nämlich das bahnbrechende Werk von Charles Darwin, „Die Entstehung der Arten“, in dem erstmals die Evolutionstheorie vertreten wird. Eine bahnbrechende Entdeckung, eines dieser Bücher, die die Welt und unser Verständnis von ihr für immer verändert haben. Eine wissenschaftliche Glanzleistung, so meine ich.

Und ich meine: Auch für die Theologie eine bahnbrechende Entdeckung. Denn als Christen müssen wir uns auf einmal damit auseinandersetzen, dass Darwins Theorie nicht mit dem übereinstimmt, was in der Bibel steht. Es scheint, als müssten wir uns entscheiden: Für einen „treuen“ Bibelglauben oder für den wissenschaftlichen Fortschritt.

Was kommt dabei heraus, wenn man unsere Schöpfungserzählungen am Anfang der Bibel genauer unter die Lupe nimmt? Sind sie denn wahr? Manche versuchen, es so zu erklären: Für Gott ist Zeit unwichtig. Die Erzählung beschreibt die Evolution, aber statt Tagen müssen wir Jahrmillionen einsetzen. Dann haben wir eine erstaunliche Übereinstimmung in der Reihenfolge, in der alles entstanden ist. Ehrlich gesagt, ich finde das ein seltsames Rückzugsgefecht, wo gar keines nötig ist. Im Gegenteil: Wenn wir genauer hinsehen, können wir viel mehr Wahrheit in der biblischen Erzählung entdecken, als wenn wir sie als historischen Bericht betrachten, der sie nun mal nicht ist. Es ist eher wie mit der „blöden Kuh“ und dem „Schatz“: Es kommt auf die Bedeutung hinter den Worten an. Und dann stellen wir erst einmal fest: Es gibt zwei Schöpfungserzählungen, die sich grundsätzlich unterscheiden. Die eine mit den sieben Tagen, die andere mit Adam und Eva. Beide sind ganz anders. In der einen wird von den Urfluten vor der Schöpfung erzählt, in der anderen davon, dass vor der Schöpfung alles trocken war. In der einen erschafft Gott die Menschen am Schluss, in der anderen erst Adam, dann die Tiere, dann Eva. Und so weiter...

Für heute möchte ich mich auf die erste Erzählung beschränken, die mit den sieben Tagen. Wenn man sie sprachlich analysiert – wozu man natürlich erst einmal Hebräisch beherrschen muss – stellt man fest: Sie wurde aufgeschrieben in einer für Israel sehr, sehr schwierigen Zeit, im babylonischen Exil. Die Babylonier hatten Jerusalem nach zehn Jahren Belagerung eingenommen und völlig zerstört. Der Tempel und die ganze Stadt lagen in Schutt und Asche. Alles, was Rang und Namen hatte in Israel, war nach Babylon verschleppt worden. Ein großer der Teil der restlichen Bevölkerung war nach Ägypten ausgewandert, Israel fast menschenleer. Das Ende des Volkes Israel? Und, noch viel wichtiger die Frage: Was ist mit unserem Gott Jahwe? Hat der auch verloren gegen Baal, den Hauptgott der Babylonier? Müssen wir jetzt vielleicht Baal und die anderen babylonischen Götter anbeten? Ist unser Gott hier, außerhalb Israels, überhaupt noch „zuständig“ für uns? Und haben wir überhaupt noch eine Chance, jemals wieder nach Hause zu kommen?

Schwere Zweifel erschütterten die Israeliten. Natürlich konnten sie den Siegern auch nicht einfach ins Gesicht sagen: „Unser Gott ist stärker als eure Götter alle zusammen!“ So was machte man damals einfach nicht. Also erzählten sie eine Geschichte. Keine Geschichte von der blöden Kuh, sondern vom allmächtigen Schöpfergott, der nicht nur Israel in der Hand hält, sondern der die ganze Welt erschaffen hat. Auch Babylon. Natürlich auch Ägypten, wo der Rest ihres Volkes war. Und Israel. Viele dieser „Wahrheiten“ packten sie in die Erzählung mit hinein. Zum Beispiel die hier:

14 Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre 15 und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. 16 Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde 18 und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. 19 Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.

Eine Riesenfrechheit war das. Jedenfalls, wenn man weiß, in welcher Situation diese Erzählung entstanden ist. Denn Sonne, Mond und Sterne wurden von den Babyloniern als Götter verehrt. Also sagten die Israeliten hier: „Ihr Babylonier habt keine Ahnung. Ihr mögt uns besiegt haben. Aber was ihr als Götter verehrt, das sind nur Lampen, die unser Gott gemacht hat.“ Das ist schon ziemlich nahe an „blöde Kuh“, würde ich sagen.

Natürlich bleibt es jedem unbenommen, das alles wegzuwischen und zu sagen: „Ich glaube, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat.“. Ob das eine oder das andere – für den christlichen Glauben ist es nicht wesentlich, was am Anfang der Welt steht, sondern an deren Ende. Das hält uns zusammen: Der Glaube, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Der Glaube, dass Gott uns auch nach dem Tod in seiner Hand hält. Der Glaube, dass Jesus auferstanden ist von den Toten. Die Hoffnung, dass Gott eine bessere Welt für uns bereithält. Das, so glaube ich, ist auch nur ein Bild. Weil wir uns die Wirklichkeit, die uns erwartet, gar nicht vorstellen können. Ich denke, sie wird noch viel größer, schöner, überwältigender sein. Ähnlich, wie sich die Israeliten vielleicht einen Ablauf von sieben Tagen vorstellen konnten – aber keinen von sieben Milliarden Jahren. Dafür ist übrigens auch mein Kopf zu klein, um diese gewaltigen Zeitabläufe wirklich zu erfassen. Es hilft mir, daran festzuhalten: Gott hat die Welt in der Hand. In welcher für uns unbegreiflichen Weise er das auch tun mag.

Comments

Interessanterweise war auch die Schöpfungsgeschichte das Erste, was ich in der Taufvorbereitung lesen sollte. Ich fand sie einfach nur wunderschön. Auf die Frage, ob sie denn wahr ist im Sinne von "faktisch richtig", habe ich mir damals die Antwort gegeben, dass es wohl ziehmlich unmöglich ist, für unseren geringen Verstand überhaupt über so etwas gewaltiges wie Gottes Schöpfung der Welt uns Menschen verständlich zu machen. Ich denke, das kann ein Mensch garnicht verstehen im Sinne von wirklichem Begreifen. Das ist in der Naturwissenschaft anders: Dort werden mehr oder weniger genaue Rechnungen erstellt, wie es denn quasi "technisch" von statten gegangen ist, man versteht es aber eigentlich nicht wirklich, finde ich ;-) , kann es eigentlich kaum nachvollziehen. Dafür ist die (zB Zeit-) Dimension viel zu groß. Wahr im Sinne von "in ihrer Tiefe den wirklichen Kern erfassend" ist sie aber auf jeden Fall, denke ich. Meine Freundinnen und ich hatten als Kinder übrigens immer Spitznamen: Ich war das blöde Schaf ;-) , eine andere die blöde Kuh, noch eine andere die blöde Sau und wiederum eine andere der dumme Frosch...